Chicken Trip & Vulkanjäger

"Would you like an adventure now,
or shall we have our tea first?"
-Peter Pan


Wenn mein Rücken bis dato noch intakt gewesen war, so ist dies spätestens seit heute nicht mehr der Fall. 6 Blocks - so lautete die Anweisung von Alonzo, als wir unsere Backpacks aufschnallten und Richtung Busbahnhof stiefelten. Sage und schreibe 20 Minuten marschierten wir als billiger Abklatsch einer Armeetruppe querfeldein durch nicaraguanisches Markttreiben und brutzelnde Hinterhöfe. Gefühlt habe ich mich wie bei Hinter den Kulissen von Nicaragua. Herabhängendes Gemüse, offene Feuerstellen, lagernde Hühnchen, Bananenstauden, Schlammpfützen. Feilschende Händler und Unterhändler. Die Realität präsentiert sich in den Nebengassen und abseits der heraus geputzten Mainstreet.

Völlig durchgeschwitzt und mit massagebedürftigen Rücken- und Nackenmuskeln erreichten wir den staubigen Halteplatz des auf uns wartenden 'Chicken-Bus', der in seinem Inneren wie ein ausgebombter Schulbus aussah. Stickerbeklebte Frontscheibe. Abgerissene Sitzplätze. Notdürftig angebrachter Rückspiegel. Im Gang klebriges Allerlei und augenscheinlich verdorbene Speisen verkaufende Señoritas und Niños. Wir reisen neuerdings mit öffentlichen Verkehrsmitteln. Authentisch. Gewöhnungsbedürftig.

Wir hielten wirklich an jeder sich anbahnenden Gruppenschar von mind. 2 Personen an, um diese noch irgendwo in diesem kriegsbeschädigten Fahrzeug unter zu bekommen. Gleichermaßen entließ der Busfahrer an jeder kreativ zusammen geschusterten Unterhaltstelle mitreisende Fahrtabschnittsgefährten und fand indes Zeit den ein oder anderen Tratsch mit bereits auf Neuigkeiten wartenden Rentnern zu halten. On-the-fly nennt sich übrigens die aktuelle Streetworkerscheinung, bei der man ohne Anhalten und Bezahlen des Busses aufspringen kann. Gern gesehen sind auch die On-and-off-Hopper, die sich ohne ökonomischen Hintergedanken zur Zentralisierung, alle in 10m Sichtweite aufstellen und den Busfahrer zu 3 Stopps innerhalb von 30 Sekunden zwingen.

Mein Blick richtete sich noch einmal auf die strukturiert beklebte Busfront, auf der sich die gesamte Actioncollection 'Dragon Z' nebst der Stickerreihe 'Heilige Maria - alle Portraits' und dem FC Barcelona Wappen diverser Größen erstreckte. Phänomenal. Doch scheinbar die Standardtapezierung mittelamerikanischer Vehikels. Denn auch im Mini-Chicken-Van, in dem wir nach 2 Stunden umstiegen und uns dicht aneinander gedrängt zusammenpferchen mussten, konnten wir die Bibelgeschichte verknüpft mit Super Mario Car World noch einmal in Stickerform nachvollziehen. Zu viert, im Schweiße unseres Angesichtes auf zwei Sitze gequetscht, bestritten wir die nachfolgende 15-minütige Fahrt um anschließend auf das Chicken-Boat umzusatteln, mit dem wir den letzten Routenabschnitt, inkl. Schiffsgeschaukel ganz großen Formates, bestritten.

Am Ufer der größten, im Süßwasser liegenden, Vulkaninsel der Welt 'Ometepe', wurden wir zugleich zum Strand aller Sonnenuntergangsträume chauffiert, wo die lokale Community bereits mit dem Kochen unseres Abendmahls begonnen hatte. Während es noch um die Ecke brutzelte und vor sich her kochte, erhielten wir eine 1-stündige Einweisung in die 'Optionals' auf dieser lächelnden Vulkaninsel. Neben Pferdereiten am Strand und diversen Wanderhikes, strahlte mich die Tageswanderung hoch zum herausforderndsten Vulkan Nicaraguas an. Völlig irrational entschied ich den 1600m hohen 'Conception' zu erklimmen. Ernüchterung erst, als sich heraus stellte, dass nur zwei weitere Personen mit mir diesen Weg bestreiten würden. Ein australischer Armee-Mann und der Deutsche. Huch, hatte ich da vielleicht doch ein paar Nebeninformationen und Hinweise verpasst? Die Mehrheit unserer Gruppe entschied sich für Pferd und Beach, während Team Kanada + Friends die Halbtagestour zum Vulkan ins Auge fassten. An dieser Stelle hätte ich vielleicht die 40$ Vulkangebühren zurück halten und meine Auswahl noch mal überdenken sollen. Tat ich aber nicht.

Mittlerweile entfaltete sich der Geruch der Ometepischen Spezialitäten, doch an ein baldiges Essen war noch nicht zu denken. Schnellkochtopf gibt's hier nicht. Unsere Gastfamilie stellte sich dafür schon mal vor und gab uns Einblick in die Räumlichkeiten. Walt-Disney-Prinzessinnen-Raum mit Feentouch unter Wellblechdach würde es genau beschreiben. Jenny, die Engländerin und ich waren begeistert! Schnell wurde um die drei rosa, pink und lila bezogenen Betten gefeilscht, zu denen wir zusätzlich zwei Standventilatoren erhielten. Bitter nötig. Das Bad (außerhalb gelegen) erwies sich als 'Basic' und beherbergte zudem ein paar neu kennen zu lernende Insektenspezies. Gerne hätten wir noch über das eine oder andere Thema mit unserer temporären Familie geplaudert, doch dies ließen unserer katastrophalen Spanischkenntnisse nicht zu.
Nach ausgiebigen Abendverzehr begaben wir uns zu Bett und lauschten der Stille. Stille? 3 Millionen Vögel stimmten sich im Kanon ein, ein Sturm blies die Palmenblätter scheppernd über unser Wellblechdach, die nicht-geölten Ventilatoren quietschten durch die Nacht und ein weiteres tippelndes Geräusch machte sich auf unserem Dach bemerkbar. Kleine Füßchen. Auf und ab. Ratten.

Zum Frühstück präsentierte sich vor mir eine Portion Rühreier, Reis, Bohnen und Tortillagebäck. Um 5 Uhr morgens. Na dann mal auf. Als ich den bis zum Rand gefüllten Teller zu 3/4 ausgelöffelt hatte, läutete der Bus zur Abfahrt. Einen Vulkan galt es zu erklimmen. Mir zitterten die Knie. Was hatte ich mir da schon wieder eingebrockt? Von allen Sinnen verlassen musste ich mir ja ausgerechnet den schwierigsten Vulkanaufstieg auswählen. Manchmal zweifele ich an mir selbst. Sinnigerweise hatte ich die Schwedin am Vorabend informiert die Bergwacht nach einem aggressiv roten T-Shirt Ausschau zu halten. Safety first!

Die ersten Meter erwiesen sich als guter Start. Der Weg, nur geradeaus führend, war geprägt von viel Gestein, riesigen Baumstämmen und einem Insektenorchester, das fast für Taubheit sorgte. Tropische Temperaturen, erste Schweißperlen, glücklicherweise keine Sonne weit und breit. Im Anschluss an den Einlaufpart, sollte der 'Medium Part' folgen. Schon nach wenigen Schritten stellte ich mir schweißüberlaufen die Frage: "Wenn das der Medium Part ist, wie soll denn erst der 'Hard Part', geschweige denn vom 'Killer Part', aussehen?" Es nützte alles nichts, das Wanderprogramm musste jetzt durchgezogen werden. Wir kraxelten das verdammt steile Vulkangebirge, umringt von Dschungelwald und kreischenden Affen, weiter nach oben und ignorierten die mittlerweile flussartigen Schweißströme. Ich möchte mir gar nicht ausmalen wie ein Hike unter sonnensichtbaren Umständen ausgesehen hätte. Undenkbar! Der Weg wurde steiler und Wasser + Wind meine zwei neuen besten Freunde. Auch den Wanderstick wollte ich nicht mehr missen. Das Tool ist wirklich Gold wert.

Nach 800 Höhenmetern erhielten wir so langsam ein Bild von dem was uns da oben erwarten sollte. Rauch. Wolke. Weiß. Es wurde windiger. Nach 900 Metern zog der Tourguide schon mal in Erwägung die Erklimmung abzubrechen. Zu starke Winde. Denn merke: ab der 1000 Meter Grenze geht es kraxelnd weiter. Handschuhe hatten wir bereits erhalten. Auf 950 Metern dann die nüchterne Erkenntnis: Das könnte windig werden. 1000 Meter: Um Haaresbreite hätte mich der Vulkan die mühselig erklommenen Meter wieder herunter gepustet. Windstärke 14 stürmte es hier oben und trotz meines reichhaltigen Frühstücks konnte ich mich kaum auf den Füßen halten. Die Wolken versperrten zudem die Aussicht auf die Insel. Missmut. Enttäuschung. Chicken-Sandwich. Während des Lunchs entschieden wir mit unserem Tourguide, das ein Weitergehen keinen Sinn machen würde und lebensbedrohlich enden könnte. Abbruch.

Doch als Alternativrückroute dachte sich der hier aufgewachsene Tourguide was ganz besonderes aus: Auf zu den Spuren des Lavacanyons, welcher sich in 1957 bei einem schweren Vulkausbruch formte und bildete. Ganz original Standard kann man es wohl nicht bezeichnen, als wir uns über den gut befestigten Maschendrahtzaun arbeiteten und in ein Adrenalinabenteuer abseits der Touristenwege starteten. Zunächst kämpften wir uns durch dicht bewachsenes Dickicht und Dschungelwald, blieben in Dornen hängen und traten in lose Stolperfallen. Dann erblickten wir den Canyon. Eine Felsformation vom allergeschliffensten! Was für Kräfte müssen hier gewirkt haben, als die Lava 1957 durch das Flussbett strömte! Ein Kraxelerlebnis ganz besonderer Art stand bevor, was all unsere Free-Climbingkünste erforderte. Von Ast zu Ast hangelnd, entlang gebröckeltem Gestein und Lianen. Ein falscher Schritt und das Rutscherlebnis nimmt seinen Lauf. Und so geschah es dann auch. Als ich schon festen Boden unter mir spürte, hörte ich hinter mir nur noch bröckelndes Gestein abwärts rutschen. Michael, der Australier hinterher. Rasend schnell huschte er und mit sich ziehende Pflanzen und Felsgestein den Berg hinunter, bevor er kurz vor Aufschlag in aller letzter Sekunde von Luiz, dem Tourguide, gegriffen wurde. Geschockt und geflasht von den vor mir ablaufenden Ereignissen, konnte ich dem Backsteingroßen Felsbrocken nur hinter her sehen, als dieser im freien Fall um Haaresbreite an Michaels Kopf vorbei streifte. Shit...that was close! Einatmen. Ausatmen. Volcanoe: 0 Michael: 2. Schon beim Vulkanboarden konnte der Australier einer größeren Katastrophe ausweichen. "You were the first tourists I took to this place by the way." erwähnte Luiz beim Verabschieden. - Ja, und beinahe die letzten. 



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