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Standbymodus

„Die Crew hängt noch im Treppenhaus fest.“ raunte die Lufthansa-Angestellte ihrer Kollegin zu, die bereits mit 20 Minuten Verspätung am Boarding-Schalter angelangt war. Zuvor klingelte das herrenlose, schnurgebunde Festnetztelefon dauerhaft ins Leere. Und da wussten wir auch, wo unsere Anrufversuche am Tage zuvor hin umgeleitet worden waren. Dass unsere Reise nach Tromsø kein Zuckerschlecken werden würde, war uns schon im Vorfeld klar gewesen. Und so wunderte es uns auch nicht, dass wir mit 30 Minuten Verspätung in Frankfurt los charterten. Randnotiz: Der Zwischenstopp in Oslo belief sich ursprünglich auf 90 Minuten. Davon war jetzt schon nicht mehr viel übrig.

„So, wir haben jetzt noch eine Stunde, das könnte knapp werden.“ sprach becks. „Ach, das ist bisher immer noch gut gegangen, die werden uns schon schnell zu unserem Anschlussflug durchlotsen.“ erwiderte ich. Falsch gedacht. Eine schier unendlich lange Traube von Menschen sammelte sich vor der Passkontrolle, die von 5, in gelb gekleideten IKEA-Mitarbeitern, völlig unkoordiniert dirigiert wurde. „Fully vaccinated and EU-Pass!“ plärrte der gelbe Oberdirigent durch den Saal. Erschrocken rissen wir unsere Hände in die Höhe, bevor das schwarze Sicherheitsabsperrband, just in diesem Moment, vor uns in die Halterung einrastete. Das wars dann wohl mit unserem Anschlussflug. „You have only ID, no passport!“ „Yes, but we do have connection flight.“ Mehrfach wiesen uns die gelben Menschen daraufhin, dass sie nichts für uns tun könnten und am Ende blieb uns nichts anderes übrig als selbst Initiative zu ergreifen und uns durch die Massen vorzudrängeln. „Dreistigkeit siegt.“ sprach becks, bis wir im letzten Viertel von einem älteren Herren in die Schranken gewiesen wurden. „Ich habe auch einen Anschlussflug, der in 10 Minuten geht, ich lasse Sie nicht durch.“ „Ja, dann schließen Sie sich uns doch einfach an.“ forderte ich ihn auf, um vorwärts zu kommen.

Der plötzliche Aufruhr in den Menschenmassen drängte den gelben Oberdirigenten wieder zu uns, der bereits die rote Karte für uns zückend in der Hinterhand hielt. Becks drückte ihm im letzten Moment ihr mobiles Endgerät mit dem Boarding Pass und der ablaufenden Zeit ins Gesicht. „Oh, you have connection flight? You can go.“ Und plötzlich schaltete sich in einem Zusatzschalter das Licht an, wo sich ein Mitarbeiter aufopferungsvoll um uns kümmerte. Kaum hatte er uns die Personalausweise zurückgereicht, sprinteten wir im Steigerungslaufmodus los. Wir legten neue Bestzeiten auf der 1,5 Kilometer langen Strecke hin und die Mickey Maus Uhr fragte uns zwischenzeitlich, ob sie unseren Lauf aufzeichnen sollte. Wäre das alles noch nicht Hindernis genug gewesen, mussten wir unser Gepäck im aktiven Lauf vom Gepäckband aufsammeln und als zusätzlichen Ballast hinter uns her hieven. Randnotiz: Die Masken hatten wir ja auch noch auf.

Völlig zerstört und schwer atmend, erreichten wir 10 Minuten vor Abflug den Gepäckschalter für Inlandsflüge. „Sorry girls, you are too late. The gate is already closed.“ Designiert und gleichzeitig ungläubig schauten wir den Mitarbeiter am Schalter an. Mitfühlend setzte der kompetente Mitarbeiter alle Schalter und Hebel in Bewegung um den „two girls from Frankfurt“ noch einen Anschlussflug am selbigen Tag zu organisieren. „Ich will euch nicht viel Hoffnung machen, der letzte Flug nach Tromsø ist eigentlich schon überbucht, aber ich sichere euch trotzdem zwei Stand-By-Seats, wenn ihr es versuchen möchtet. Das ließen wir uns nicht zweimal sagen, wäre die Alternative eine Hotelübernachtung in Oslo mit viel bürokratischem Aufwand gewesen.

Mit einem vorher gut einstudierten Hundeblick, stellten wir uns zwei Stunden später am Gate nach Tromsø vor. Doch die Flugangestellte blieb kalt und trocken: „You have to wait. Stay patient.“ Noch lange nicht entmutigt pflanzten wir uns wieder auf unsere Sitze. „Ich hab hier noch einen Flug um 20:15 Uhr gefunden. Der kostet nur läppische 67€ + Gepäckgebühren.“ googelte becks auf ihrem Endgerät. „Ich dachte wir wollten ab jetzt sparen?“ erwiderte ich, nachdem das Baguette mit 84 NOK und zwei Cappuccino für 14€ schon zu Buche geschlagen hatten. „Egal, was kostet die Welt. Hauptsache wir kommen heute noch nach Tromsø!“

Nachdem alle Angler und Fischer geboardet hatten (merke: Tromsø ist ein Fischtourismus Ziel), schaute die Flugangestellte noch einmal schnippisch über unsere Standby-Tickets und nickte uns wortlos zu. Da hatten wir die letzten zwei Plätze doch noch ergattert - wie konnten unser Glück kaum fassen!

Nach 1,5 Stunden flogen wir vom schönsten Sonnenuntergang in die Suppe Tromsøs. Dicke, schwere, regenaufgeblaßene Wolken versperrten uns lange die Sicht, bis wir auf auf dem Aquaplaning-gefährdeten Rollfeld schlussendlich landeten. Ab hier wurde es erneut gefährlich, drängten uns die Anglertouristen vom Gepäck-Rondell immer weiter ab und wir hatten Müh und Not zwischen den ganzen Fischboxen unseren Koffer zu ergattern.

„Jetzt aber zügig ins Taxi!“ Gegen 21 Uhr kehrten wir endlich in unser Hotel ein und studierten, in unserer kleinen, aber heimisch eingerichteten Wohnung mit Stehlampe, die Wetteraussichten für den nächsten Tag. Regenwahrscheinlichkeit 90%, Wind, kein Sonnensymbol. Nun denn, wir befinden uns in der nördlichsten, arktischen Metropole Europas. Was hatten wir anderes erwartet?!





It was LEGEN... wait for it...DARY

Wir konnten das Hostel gar nicht schnell genug verlassen. 1, 2, 3 saßen wir mit dem 9 Uhr Glockenschlag abfahrbereit im Caddy. Das überunfreundliche Goodbye in Richtung Hostelbesitzer (wir tauften ihn Ramir) beruhte auf Gegenseitigkeit. Hier macht immer noch the sound the music blieb es uns festzuhalten. Das Hostel war nicht nur "under all pig" (Becks musste sich auf ihren Minimal-Hygienestandard reduzieren), sondern wurden Sicherheit und Bettkomfort alles andere als groß geschrieben. Mal davon abgesehen, dass sich die Mitbewohner auf ein Bruchteil Backpacker reduzierte und es sich bei dem Rest um Asylbewerber und irgendwelche, bunt gemixten Selbsthilfegruppen handelte. Bis zum Schluss blieb uns unklar welche Sprache die merkwürdige Gruppenkonstellation aus Afrikanern, Asiaten und Ü40 Damen von sich gab.

Auf nach Oslo!" freute sich Becks. "Leute, ihr spinnt doch" rief die Schmitt und holte uns damit mal wieder auf den Boden der Tatsachen zurück. Während Resi auf der Rückbank des Caddys schlief, wurde ruckzuck eine Alternativroute nach Norwegen geplant. "Leute, lasst uns Konfetti besorgen und die Leuchtschrift "Welcome to Oslo" installieren, wenn die Schmitt wieder aufwacht." Und schon programmierte sich unsere Navi-Masterin "Lisa" fast wie von selbst für den neuen Spontantrip in die norwegische Metropole ein. 450 Kilometer zeigte das Traffic-Device an. "Siehste, ist doch nur ein Katzensprung von Dals Ed" (unserem eigentlichem Reiseziel) "Und schau mal dort sind auch die schönen Oslo Fjorde." merkte ich an, als Becks schon wieder von Slices im Pizza Hut träumte. "Gell, die haben da bestimmt auch 1, 2, 3 - 5 Filialen?" "Mit was bezahlt man da überhaupt?" warf Löön ein. "Mit schwedischen Kronen kommen wir dort sicherlich nicht weit." "Wie, die haben auch nicht den Universal-Euro??" erboste sich Becks, "Dass die da oben immer ihr eigenes Geschiss mach müssen! Good old Europe (Germany) sag ich nur!" Der minimale Umweg, welchen ich mit einer großzügigen Toleranz schön gerechnet hatte, überzeugte irgendwann auch Resi, die sich nach Grenzüberquerung voll im Norwegen-Fieber befand (dies aber selbst nie zugeben würde). 

Auch in Norwegen hielten wir uns schon lange nicht mehr an die Geschwindigkeitsbegrenzungen, denn merke: Selbst im Ausland wird nicht so heiß gegessen wie gekocht wird! Nur der erneut dezente Mauthinweis war Becks ein Dorn im Auge (Grüße von Toll-Collect an Mama Gabi - der Caddy ist heut Abend im Netz ;-)) Wie immer gilt: was kostet die Welt, wir sind nur einmal in Skandinavien. Im strömenden Regen erreichten wir Oslo und platzierten uns mal wieder völlig überfordert am Hauptbahnhof. In diesem Moment passierte uns der schöne, rote Hop On and Off Bus. Wir mussten uns nur kurz anschauen und die Sachlage war klar: Endspurt zum Busbahnhof! Für ein daily special Offer (800 norwegische Kronen) handelten wir den Gruppenrabatt und eine 1,5 Stunden Fahrt aus. "Leute, mal wieder alles richtig gemacht!" stellte Löön fest, als wir uns alle die roten Kopfhörer aufsetzten und die bilinguale Fahrt entlang der Hot Spots unseres Spontan-Besuchortes genossen. "Zara, Zara!" hörte ich es nur immer wieder neben mir  jubelnd rufen und war erleichtert, dass der Bus, zwecks Shopping-Stopp, aus Zeitgründen nicht noch einmal verlassen werden konnte. Punkt 17:30 Uhr Parkautomatenendzeit erreichten wir, mit ein paar Pizza Slices unterm Arm, good old Caddy und warfen noch einen letzten Blick auf die mittlerweile sonnenbestrahlte Metropole. "Ihr seid so verrückt!" blieb es Resi nur fest zu stellen. "Jetzt aber ab zurück nach Schweden. Sind ja zum Glück nur 80 Kilometer bis Dals Ed." Leicht schmunzelnd und mit der nächsten Rüge rechnend, reaktivierte ich das Navigationssystem. "182 Kilometer ???!!! Juli, was ist da los??" "Huch, da hat mein Taschenrechner wohl ein wenig versagt. Keine Ahnung wie das passieren konnte.. La la la..."
 
Zwischen schönstem Sonnenschein und triefend nassem Sturmregen erreichten wir um 20:11 Uhr den 5-Sterne Campingplatz mit vor servierter Blockhütte (Zelten ist einfach raus!). Mit kinderstrahlenden Augen betraten wir unsere Hütte für die nächsten 2 Tage. "Woooow" und "Oooh wie schön" bestimmten unsere darauffolgenden Sätze, während wir uns fühlten als hätten wir Weihnachten, Ostern und Geburtstag an einem Tag präsentiert bekommen. "Wie geil, eine eigene Küchenzeile!" "Und hier ist sogar ein Tisch mit Stühlen!" "Leute, wir haben einen eigenen Toaster!" "Und ein kleines Bad mit Klo!" "Ahhh.. hier steht sogar ein kleiner Fernseher!"

Das, was für uns vor einer Woche noch absolute Selbstverständlichkeit gewesen wäre und wofür wir uns sonst noch nicht mal ein Hotelzimmer angeschaut hätten, war mit einem Mal in völlige Ferne gerückt. Wie erfreuten uns über den absoluten Basic-Komfort. Selbst dass zwei Bretter im Lattenrost fehlten, schien Becks nicht weiter zu stören und Löön war einfach nur herzüberglücklich den Kühlschrank diagonal links unten vor ihrem Bett stehen zu haben. Am Abendtisch saßen wir nach einem langen, aber dennoch sehr erfolgreichen Tag, gemütlich zusammen und vertilgten die letzten Restbestände. "Oh man Leute, ich bin hundemüde." sprach Resi. "Wie, vom Spontansein oder was?" scherzte ich, während Löön genüsslich in ihr 5. Knäckebrot biss. "Tut das Teufelszeug vom Tisch, davon wird man einfach nicht satt!" und griff abermals zum Gouda. "Ach, davon könnt ich aber auch noch ein Stück vertragen." bemerkte Becks, die trotz ganztägiger Streckenfahrt noch putzmunter war und vor Elan nur so sprießte. "Morgen möcht ich Pferdereiten, Kanu fahren, Ziplining machen, in die Sauna gehen und Butter in dem schönen Kiosk kaufen gehen. - Ach was freu ich mich schon." Derweilen beraumte Löön einen Frühsport-Exercise an, um die vielen Wanderwege kennen zu lernen. Ich, die gerade ihre Uhr wieder gefunden hatte, stimmte diesem Vorhaben zu, begab mich dann aber direkt wieder auf die Suche nach meiner Kopfstirnlampe, welche heute morgen aber ganz bestimmt noch im Rucksack war. Ganz unbeeindruckt von diesen ganzen Geschehnissen, hing die gute alte Eitzenhöfertasche an der Wand. Wie hatte es diese, qualitativ minderwertige Plastiktasche, eigentlich bis nach Dals Ed geschafft? Manche Dinge sind einfach unergründlich. Genauso wie die Tatsache, dass es in diesem Moment wieder anfing zu regnen. "Ich werde aus diesem Wetter nicht schlau. Aber eines müssen wir festhalten: Ein Hoch auf Resi und ihr grandioses Buchungsgeschick! Diese Unterkunft ist heute Gold wert!"

Merke: dieser Blog wurde in Echtzeit verfasst. Und: Resi und Lisa waren sich mit der Route bis Dals Ed stets einig (das waren sie bis dato noch nie!).