Blöd in Bled

Die Unterkunft in Bled war keineswegs blöd. Die Ferienwohnung, erbaut in den 70ern, bot nicht nur jede Menge Platz, einen Balkon und ruhige Lage, sondern auch noch einen kurzen Gehweg zum See. Man wusste zwar kurzzeitig nicht, ob man am slowenischen Ballermann oder im Familiensommerurlaub mit  Massentourismus-Abfertigung gelandet war, doch bot der See ein einmaliges, wunderschönes Panorama mit kristallklarem, fast karibikblauen Wasser und einer kleinen Insel mitten drauf. Zwischen Staunen und Faszination für dieses zwar laute, aber dennoch idyllische Ambiente, sprangen wir in den See und schwammen Richtung Insel. „Hier im Wasser geht’s eigentlich.“ „Der Bär steppt wohl nur an der Promenade.“


Auf der gegenüberliegenden Seite des Sees bot sich dann wiederum ein ganz anderer Anblick. „Ich fühle mich hier irgendwie zwischen Luftkurort und Hippie-Festival.“ stellte Petra fest, als sie genüsslich in den Mega-Burger (kulinarischer Tipp von Resi) biss und wir den E-Gitarren-Klängen eines slowenischen Motörheads Verschnitts lauschten. Der Slowene schlug in die Gitarrenseiten und stimmte, mit verrauchter Whiskey-Stimme zu slowenischen Metalhits an. Das Publikum, bunt gemischt wie nie, schaute dem Spektakel auf der Hippie-Wiese gespannt zu. „Komme mir hier vor wie beim European Outdoor Festival. Hier ist ja jede Nation von Alt bis Jung vertreten. Schon ein bisschen cool irgendwie.“ 


Als wir schon voreilig das Soča-Valley zu unserem Highlight der Tour benennen wollten, überraschte uns an den letzten Tagen unserer Reise ein noch viel tollerer Ort als Bled. „Also, wenn wir noch mal hierher kommen sollten, dann buchen wir uns direkt in Bohinj ein.“ wiederholte sich Kristin mehrfach, die von diesem Ort, der Landschaft und dem
See - wie wir alle - völlig geflasht war. Kristin hatte, wie schon die ganze Tour über, Aktivitäten, Routen und Sehenswürdigkeiten akribisch recherchiert, geplant und konnte uns jeden Tag aufs Neue mehrere Optionen präsentieren. Hierbei sprang auch die zwar anstrengende, aber dafür malerisch unübertreffliche Wanderung, durch die Julischen Alpen und geheimer Route zum Viševnik, mit Blick auf den höchsten Berg Sloweniens, den Triglav, hinaus. Als Belohnung winkte außerdem ein Sprung in den optisch mehr als ansprechenden und deutlich weniger touristischen Bohinj-See. „Hier fahren wir morgen noch mal hin.“


Selbst Karin ließ sich, mit dieser grandiosen Werbung, nochmals zu einer Wanderung hinreißen, hatte sie in Bled mittlerweile alle Kunstzentren und Galerien abgegrast und die komplette slowenische Kunstszene in und auswendig gelernt. „Was für mich die Kunst ist, sind für dich die Berge.“ erklärte Karin Kristin ihre Faszination. „Aber auch ich kann mich für die Natur begeistern.“ So zogen wir am darauffolgenden Tag durch den Triglav Nationalpark und erkundeten grandiose Wasserfälle und das Stillleben der Natur. „15€ Parkgebühren für 4 Stunden! - Das ist ja wohl die Höhe!“ reklamierten wir und entschieden uns beim nächsten Stopp, am Bohinj-See, einfach auf der Seite zu parken, anstatt abermals den Rachen der Parkautomaten zu füllen. 


Frohen Mutes spazierten wir zum Paddel-Verleih und investierten unser gespartes Geld in ein SUP (zu deutsch: Stehpaddel-Brett). Mit leuchteten Augen entdeckten wir diese neuartige Form der Fortbewegung für uns. „Das Teil ist ja der Hammer! Ich möchte so was für zu Hause.“ schwärmte ich ununterbrochen. Auch nachdem ich, bei zu viel Übermut und einem riskanten Wendemanöver, kenterte. Schweren Herzens brachten wir das Board am Abend zurück und kehrten noch auf eine Mahlzeit am See ein, bis wir wieder Richtung Auto schritten. „Was hängt denn da neben an dem Fenster?“ wollte Kristin wissen, als ich den roten Zettel aus der selbstklebenden Folie zog. „DELIKTBESCHEID.“ prangerte es in Großbuchstaben vor unseren Augen. „Überweisen Sie 200 €! Für Ihre bescheuerte Falschparkerei!„ Ich kontaktierte umgehend unsere Fachabteilung ‚Stroh & Partner‘, doch auch geballte Expertise von Magdi konnte uns vorerst nicht retten. Immerhin lenkte die slowenische Verkehrswacht mit einem Special-Frühbucherrabatt ein. „Wenn Sie innerhalb der nächsten 8 Tage überweisen, reduziert sich die Strafgebühr um 50%.“ Na super, von dem Geld hätten wir ein neuwertiges SUP kaufen können!“ 


Trotz der letzten großen und vor allem unnötigen Abschlagsrechnung, blieben wir uns einig, dass diese Reise jeden Cent wert war. Jeder Ort, jede Landschaft und jeder Gastgeber hatte auf seine Weise überzeugt und den Trip zu einem unvergesslichen Erlebnis, durch den exotischen Osten Mitteleuropas, gemacht. „Hier schlummern definitiv weitere Highlights und unbekannte Naturschönheiten. In jedem Fall ist Slowenien jede Reise wert und sollte erkundet werden.“ We like. sLOVEnia.


Wir leben auf einem Blauen Planeten

Der sich um einen Feuerball dreht

Mit 'nem Mond der die Meere bewegt

Und du glaubst nicht an Wunder

Und du glaubst nicht an Wunder

Und ein Schmetterling schlägt seine Flügel

Die ganze Erdkugel bebt

Wir haben überlebt

Und du glaubst nicht an Wunder

Und du glaubst nicht an Wunder

- Materia 

















SLOWenia

„Auferstanden aus Ruinen

Und der Zukunft zugewandt…

…Alle Welt sehnt sich nach Frieden

Reicht den Völkern eure Hand…

…Laßt das Licht des Friedens scheinen

Daß nie eine Mutter mehr

Ihren Sohn beweint

Ihren Sohn beweint.“


Triumphalisch betraten Karin und Petra ihr Zimmer, welches sie in eine Zeit des sowjetischen Kommunismus aus kitschigem Prunk und Nostalgie zurückversetzte. Verschnörkelte Betten und Nachttischränke, stehengeblieben Uhren, prunkvolle Kronleuchter und Keramiköfen der Marke Slavenova (volkseigener Betrieb natürlich). Sentimental betrachteten die beiden Damen, deren Wurzeln in Ostdeutschland und dem Sudetenland zu finden sind, die Relikte der Vila Teslova, unserer B&B Unterkunft in Ljubljana, welche auch Anbieter für Zeitreisen in das Land „Frieden und Sozialismus allzeit bereit“ ist. Eine ausdrucksstärkere Unterkunft hätten wir nicht wählen können.


Ljubljana, das ist eine besondere Hauptstadt. Würde man den gesamten Dillkreis zusammenlegen, 2 Zara’s, 3 katholische Kathedralen, 4 Kunstmuseen und 5 Hipster-Cafés hinzupflanzen und diesen neu erschaffenen Ort zur Hauptstadt Deutschlands erklären, so könnte man sich die slowenische Metropole am besten vorstellen. Eine fast unheimliche Ruhe, eine dörfliche Vorstadt mit Komposthaufen und grünen Gärten, wenig Autos und Motorroller, dafür eine durchgängige, zweispurige Fuß- und Radfahrerzone im gesamten Stadtgebiet. „Nicht umsonst wird Ljubljana die Fahrrad-freundlichste Stadt Europas genannt.“ bemerkte Kristin, als wir uns drei schicke Fahrräder mit Front-Korb ausliehen. Karin wollte an diesem Tag die Erinnerungen einer ehemaligen Sowjetstadt ganz für sich aufsaugen, während Petra, Kristin und ich, im Slow-Motion-Modus, den Ort auf dem Drahtesel erkundeten. 


„Ich glaube ich bin noch nie so langsam Fahrrad gefahren.“ wiederholte sich Kristin, während Petra und ich die Geschwindigkeit der Fortbewegung geradezu feierten. Seit Ankunft in Ljubljana hatten wir allesamt mit starker Müdigkeit zu kämpfen und wechselten uns im permanenten Gähnmodus rotierend ab. „Reisen ist auch anstehend. Auch das darf man nicht unterschätzen.“ warf ich ein, als plötzlich ein blauer Kleinwagen mit silberner Dose an uns vorbeizog. „Da ist er ja wieder, der Red-Bull-Wagen!“ „Der kommt ja wie gerufen!“ Die zwei Red-Bull-Girls reichten uns freudestrahlend drei Dosen rüber. „Eigentlich trinke ich dieses eklige Zeug gar nicht.“ stellte Petra fest. „Aber heute ist es meine Rettung.“ 


Eigentlich wollten wir uns, die von Trip-Advisor empfohlene, kommunistische Tour in Ljubljana anschauen, entschieden uns aber dann doch für den Kapitalismus und konsumierten anstattdessen leckerste orientalische Küche, in Form eines Falafel-Snacks. Auf diese Weise lernten wir auch die Italienerin Teresa kennen, die mit uns am Tisch saß und mit Couchsurfing durch Slowenien reiste. Scheinbar ist auch dieser Reisemodus nach wie vor möglich, den ich nur aus Backpackerzeiten kannte. 


„Heute Abend spielt noch mal Lang Lang.“ kam Karin mit leuchtenden und freudestrahlenden Augen auf uns zu, hatte sie bereits gestern der klassischen Musik, unter Direktion von Daniel Baenboim, gelauscht. Die drei Musikexperten tauschten sich erregt über die zu spielenden Arrangements aus, während ich, in meiner kompletten Unwissenheit, daneben statt, hatte ich keinen der genannten Künstler jemals wahrgenommen, geschweige denn davon gehört. „Vielleicht komm ich mal mit um mich weiterzubilden.“ Doch da war der Gedanke auch schon wieder niedergeschlagen, hatte das Klassik-Trio bereits entschieden, dass die heutigen, zu spielenden Stücke, zu einschläfernd waren. „Außerdem sind die Tickets jetzt auch ausverkauft.“ bestätigte Karin enttäuscht. Schade, ich hätte gerne guten Willen gezeigt und mich musikalisch weitergebildet. Anstatt dessen kehrten wir in das nahegelegene „Sax Pub“ mit Jazz-Musikeinlagen ein und gönnten uns ein abschließendes, hopfiges Endgetränk. 


„Wie bedauerlich, jetzt sind wir auch schon mit dieser Etappe fertig.“ Obwohl sich Reisen insgesamt lange anfühlt, vergehen die Tage gleichzeitig wie im Fluge. „Unsere letzte Station ist Bled. Hoffentlich ist die Unterkunft nicht allzu blöd.“











Die Entdeckung der Langsamkeit

„Ich habe immer noch keine Briefmarken.“, bemängelte ich. „Und Kunas wechseln die mir hier auch nicht.“ „Es wird wirklich Zeit, dass Kroatien nächstes Jahr in die Euro-Währung einsteigt.“ „Wahrscheinlich hat sich das gesamte Strandgewerbe von Medvinja dafür stark gemacht und den Euro eingefordert.“ Anders war es gar nicht zu erklären, dass man von jedem Geschäftetreibenden nur ein unzufriedenes „Nein, ich habe keine 2-Kuna Münzen.“ und „Man hat mir verboten hier das Wechselbüro zu spielen.“, erhielt. Aber irgendwie mussten ja die die Badegäste zu dem Münzgeld kommen, denn das Toilettenhäuschen war weder mit Apple Pay, Kreditkarte, Euros, Dollar, Rubel noch Paypal zu öffnen. Nicht einmal ein 5-Kuna Stück akzeptierte der althergebrachte Münzautomat. „Das ist hier wirklich ein großes Problem.“ erklärte mir der Händler für felsiges Wasserschuhwerk, als er mir die Neoprenlatschen über den Tresen reichte. „Wir warten alle so sehnsüchtig auf den Tag, an dem wir den Euro erhalten.“ Und das alles wegen dieses Toilettenhäuschens am Strand.


„Herrlich! Können wir einfach den Rest der Reise hier in Opatija bleiben?“ fragte Karin, als sie sich von der einen auf die andere Seite der Liege fläzte. Auch mir sagte der Strand- und Meeresmodus von Tag zu Tag mehr zu. „Schwimmen, das ist genau mein Tempo. Endlich mal eine Sportart in der man in Zeitlupe schnell sein kann.“ „Wahrscheinlich auch die einzige Sportart, bei der man nicht schwitzt.“ „Und kostenloses Sandwasser-Peeling erhält die Haut auch zugleich.“ Die Vorteile waren schnell zusammen getragen. Ein Strandurlaub erlaubt außerdem die Jahresration an Büchern zu konsumieren und zwischendurch ein Nickerchen zu machen. „Jetzt trinke ich noch einen Kaffee und beobachte Leute.“ Karin erhob sich zu ihrer Lieblingsdisziplin und schritt Richtung Kaffeetresen. „Please drink the coffee before it gets cold.“, rief ich ihr hinterher und blätterte, in meinem japanischen Bestselleroman aus Herborns Bücherecke, die nächste Seite um. Und das wäre dann auch schon mein Buchtipp für heute. 


„Ich bin ja völlig überwältigt. Wow!“ „Was für eine aufregende Stadt.“ Wir hatten gerade leckersten Seebarsch, gefüllt mit Pesto und Garnelen, gebettet auf Hummus und gegrillter Zucchini, im Roko, eine Restaurantempfehlung von Hausmutter Eva, verspeist und schritten nun den Boulevard des Balkans entlang. Gitarrenklänge von „Here comes the sun“ und „Simon & Garfunkel“ begleiteten uns, bis wir die kroatische Version von „Let‘s Dance“ auf einer kleinen Tanzfläche beobachten konnten. Ein Spektakel nach dem anderen offenbarte sich vor uns. Wir kamen aus dem Staunen nicht mehr heraus. „Da hinten spielt das Queen-Tribute!“ und „Schaut mal hier, was für ein schöner Garten.“ „Was sind das denn für tolle Lichter.“ „In die Bar möchte ich aber auch mal.“ Der Abend wollte nie enden.


„Jetzt gehen wir aber mal zurück, nicht dass wir schon wieder einen Strafzettel erhalten!“ sprach Kristin und entging fast zeitgleich einem Zusammenstoß mit einer Schranke, die just in dem Moment von oben auf sie einsteuerte. Uns blieb der Atem weg. „Was ist, kommt ihr jetzt?“ fragte Kristin, die nur noch den Windhauch der Vorrichtung an ihrem Kopf spürte. „Ach du scheiße. Das war knapp.“ Wir wussten nicht ob wir lachen oder ein Dankgebet zum Himmel aussprechen sollten. „Das war ja genauso knapp wie bei dir gestern Karin. Als dich das Elektroauto beinahe über den Haufen gefahren hätte.“ Ich würde sagen, wir waren lucky mushrooms again.


Auf dem Frühstückstisch entdeckte jeder von uns ein violettes Säckchen mit getrocknetem Lavendel. Außerdem Datteln, frisch gepflückte Mirabellen, Äpfel und Radieschen. „Das hier ist keine 5-Sterne Beherbergung, das hier ist unbezahlbar.“ stimmten wir in großer Dankbarkeit überein. Hausmutter Eva brachte uns die noch brutzelten Spiegeleier in den gekühlten Frühstücksraum und servierte, wie jeden Morgen, mit einem herzlichen Lächeln. „Meine Tochter hat meinem Autoschlüssel versehentlich mit nach Österreich genommen. Deshalb kann ich dir heute nur Hagebuttentee servieren, Kristin.“ lachte Eva. „Ich sitze im Moment hier oben fest.“ „Wir können dich doch nachher mit runter in die Stadt nehmen?“ schlugen wir vor. „Na na, i mogs hier oben. I hoab doch hier alles was i brauch.“


Wir bedankten uns abermals bei Eva und verabschiedeten uns schweren Herzens. „Wir werden dich weiterempfehlen und wir hoffen eines Tages zurückzukehren.“ „Das würde mich sehr freuen. Und es war auch für mich schön euch kennenzulernen.“ 


Wir waren jetzt in diesem tollen Hostel in Bovec, das so tiefenentspannt, freundlich und geerdet war, das wir gerne geblieben wären. Nun würden wir am liebsten auf diesem Hügel und diesem Herzens-Apartment mit Meerblick und Sonnenaufgangs-Kino in Kroatien bleiben. Wo werden wir bloß in Ljubljana, der Haupstadt Sloweniens, landen?















It‘s the end of the world as we know it.

„Ich dachte, hier oben gäbe es noch ein zweites Meer.“ „Bei Google sah das aber näher dran aus.“ „Also, hier oben kann man ja über ganz Kroatien schauen.“ „Die Straßenführung ist hier aber auch nichts für Fahranfänger.“ 


Eine Mischung aus Staunen, Beeindruckung und höchstem Respekt vor den steilen Serpentinen führten uns hinauf zu unserer nächsten Unterkunft „Panorama House“ oder aber auch „House with a view“. „Wahnsinn!“ Wir kamen aus dem Staunen nicht mehr heraus. Auf 400 Meter Höhe bekamen wir nicht nur einen atemberaubenden Blick auf das Meer geboten, sondern durften auch noch Gast bei Hausmutter „Eva“ sein, die uns herzlichst empfing, unterhielt und umsorgte. Die in Österreich lebende, aber gebürtige Kroatin, führte uns durch die modern eingerichteten Zimmer und lud uns anschließend in ihren fein säuberlich angelegten Garten auf frisches Minzwasser und österreichisches Bier ein. Es war wie im Urlaub. „Ihr müsst doch nicht die Sachen von Hand waschen. Gebst‘ mir eure Wäsche doch einfach, i moach des.“ Wir fühlten uns wie die Prinzessinnen von Bel Air.


Eva versorgte uns nicht nur mit wertvollen Insidertipps zu den besten Stränden und Restaurants in Opatija, sondern unterrichtete uns auch noch über die Geschichte Kroatiens. „Ja, das war damals ganz dramatisch.“, fing sie nach Worten suchend an. „Stellt euch vor, ihr habt 20 Minuten um euer Leben in einen Koffer zu packen und dann ins Ungewisse zu fliehen.“ Wir schluckten. „Ich selbst hatte Glück, aber meine Mutter und Oma, die mussten fliehen.“ Um was es in dem Krieg genau ging, wollte Kristin wissen. Eva überlegte. „Ich bin keine Geschichtslehrerin, ich weiß es eigentlich selbst nicht so genau. Eigentlich wurde, nach demokratischer Volksabstimmung, die Unabhängigkeit Kroatiens in 1991 erklärt.“ Was in Slowenien der 10-Tage Krieg war, entwickelte sich in Kroatien jedoch zu einem 4-jährigen, blutigen Konflikt mit dem ehemaligen Staaten Jugoslawiens. „Familien wurden auseinander gerissen. Mütter haben ihre Kinder nicht mehr gefunden. Ganze Familien wurden ausgelöscht.“ Eva rang mit ihren Worten. „Ich kann die Leute in der Ukraine verstehen. Das ist schlimm. Das ist, als wenn dich jemand in der Mitte durchschneidet. Du kannst wieder genäht werden, aber ein Teil von dir fehlt.“ 

„Und trotzdem kommt ihr alle einigermaßen wieder miteinander klar? Also mit den Serben usw.?“ „Ja, natürlich, die wollten das doch auch nicht. Ich habe beste Schulfreundinnen aus Serbien.“ 


Wir brauchten einen Moment um die Worte zu verarbeiten. „Bringt’s mir doch bitte eure Wäsche und dann macht euch auf zum Strand. Genießt den schönen Nachmittag.“ Herbergsmutter Eva wusste uns wieder aufzumuntern. So fuhr Kristin präzise und ohne jegliche, anzusehende Angstschweißperlen die Serpentinen wieder hinab und wir fläzten uns an den kleinsten Stadtrand der Welt, den wir an diesem Tag noch erreichen konnten. „Wie, hier gibt’s keinen Sandstrand?“ entsetzt schauten Karin und ich uns an. „Natürlich nicht, hier gibt’s nur Fels und Beton, deshalb ist das Wasser doch so blau.“, unterrichteten uns Petra und Kristin, die entsprechendes Wasserschuhwerk mitgebracht hatten. Der Fail lag mal wieder bei uns. 


„Guten Morgen, meine Lieben! Hier ist eure frische Wäsche. Hab noch ein Wäschetuch dazu gelegt, damit nichts verfärbt.“ Eva war unsere Heldin der Woche. „Und hier ist Frühstück!“ präsentierte sie das groß angerichtete Mahl mit Spiegeleiern, frischem Obst und Allerlei. Wir wussten unserer Dankbarkeit kaum noch Ausdruck zu verleihen.


Am frühen Vormittag fuhren wir den Strand „Medjeva Beach“ an und sicherten uns Liegestuhlplätze mit Sonnenschirmen, bevor der große Run des kroatischen Feiertags, den wir selbstverständlich nicht auf dem Schirm hatten, einströmte. „Herrlich!“ Ich wusste nicht, wann ich zuletzt einen ganzen Tag am Meer - und dann auch noch an einem warmen - verbracht hatte. „Das ist ja ein Träumchen!“ 


Getoppt wurde dieser Traum nur noch vom abendlichen Flair auf der Franz-Josef-Promenade im kroatischen Monte Carlo. „Wussten wir damals eigentlich, wo wir hingebucht hatten?“ „Nein, keine Ahnung. Ich weiß ja bis jetzt nicht mal so richtig wie dieser Ort eigentlich heißt.“ „Mal wieder alles richtig gemacht.“ „Wie immer, oder?“ Blauäugig in die Ferne schweifen. Jeder kann was. 


Wir ließen uns die Fischplatte für 3 Personen munden und genossen das abendlich Treiben am Meer. Kleine Fischerboote und Yachten, die im Hafen beruhigend hin und her schwappten, eine sommerliche Brise Wind, der Geruch von Salzwasser und Meer und ein kleines idyllische Lichtermeer. „Hast du jetzt wirklich für Frankfurt getippt?“ fragte mich Kristin, als wir im Liveticker die erste Bundesligapartie Frankfurt gegen Bayern verfolgten. „Na klar, die haben doch jetzt den Götze. Da muss doch was gehen.“ „Außerdem steht doch der Trapp im Tor, wie können die denn so schlimm hinten liegen?“ „Ich finde, die sollten den Kahn wieder holen.“ warf Karin mit einem letzten qualifizierten Kommentar ein. 


Eigentlich war alles wie immer und doch so anders. „Schön hier. Hier bleiben wir die nächsten hundert Jahre.“ „Zumindest in den Wintermonaten.“ 











Soča rocks!

„Vorher war ich IT-Broker, aber der Computer hat meinen Kopf kaputt gemacht.“ sprach Peter, als er mich anzippte. „Der Job hier hat mich wieder runtergebracht.“ „Oh cool, aber das wäre nichts für mich, zu viel Höhenangst.“ erwiderte ich, mit zitternden Knien. „Ach, die hab ich auch, sogar riesengroße. Kann keine Brücke hinunter schauen.“ Erstaunt und erschrocken zugleich sah ich Peter an. „Jetzt halt dich gut fest und vergess unten nicht zu bremsen.“ 


An Tag drei trennte sich erstmals die Spreu vom Weizen. Während es Petra und Karin zum

Yoga mit 180 Grad Bergpanorama zog, stellten sich Kristin und ich der etwas höher angelegten Bergchallenge „Zip-Lining“, bei der es zunächst galt mit einem Jeep, über kurvige Schotterpisten, den Startpunkt auf 2.000 Meter Höhe zu erreichen. Zwar hatte ich Zip-Lining schon zweimal zuvor gemacht, doch schlotterten mir auch diesmal die Knie. „Für was macht man so etwas überhaupt?“ fragte ich mich abermals, als uns die Slowenen instruierten und eintrichterten weder zu früh, noch zu spät zu abzubremsen. Wir zipten uns von Wipfel zu Wipfel und zischten vorbei an Tannen und Fichten. Runter schaute ich erst gar nicht. Schlimm war’s wirklich nicht. Aber zur Wohlfühlzone werde ich den Höhenmodus auch niemals benennen.„Hätte ruhig noch schneller sein können.“ resümierte Kristin. Für mich hat’s gereicht. 


„Ich kann schon verstehen, dass die Leute Bovec nicht mehr verlassen wollen.“ sprach Karin, tiefenentspannt am Bartresen sitzend, an dem sie täglich ihre Kaffeespezalität einnahm. „Nichts an diesem Ort treibt einen fort.“ Und wir hörten von Lindsay, der amerikanischen Yoga-Lehrerin, die seit 5 Jahren hier wohnt und nur nach Montana fliegt, um ihre Familie zu besuchen. „Mal schauen, vielleicht komme ich am Donnerstag auch mal mit zum Yoga.“ Was Höhe aus einem macht. 


Am Nachmittag erkundeten wir den Berg Mangant und genossen die Aussicht über das Soča-Valley. Auf dem Serpentinen-reichen Pass entdeckten wir außerdem das Fort Kluze, das mit einem kurzen Gedicht die Geschichte der Menschheit beschreibt:

„One of them built and the other destroyed,

One of them built and the other destroyed…

… forever and ever?“ 


Wir erfuhren außerdem über den 10-Tage Krieg in Slowenien, der 1991, nach Unterzeichnung der Unabhängigkeit des Landes, geführt wurde. Er war gleichzeitig Beginn der langjährigen, kriegerischen Auseinandersetzungen im ehemaligen Jugoslawien, auf die wir auch später, weiter südlich in unserem Reiseverlauf, noch einmal stoßen sollten.


„Was für eine schlechte Beschilderung hier in Slowenien.“ reklamierte Kristin abermals, als wir am nächsten Tag den Kamin bewandern wollten. Eine knapp einstündige Gondelfahrt brachte uns auf 2.587 m Höhe, von der eine „easy“ Einsteigerrunde entlang des Felsmassivs führen sollte. Karin verfluchte uns innerlich für die ungeplanten Kletterpartien, die sich als falsche Wegführung herausstellen sollten. „Okay, Petra und ich gehen jetzt den blauen Weg und ihr könnt noch mal hoch zum Gipfel.“ beschloss sie entschieden. Und so kraxelten Kristin und ich den Fels hinauf, nur um abermals vom Weg abzukommen und unfreiwillig einen nicht vorhandenen Klettersteig aufzunehmen. „Da oben sind Leute.“ freute sich Kristin, als sie den richtigen Weg wieder gefunden hatte. Erleichtert kraxelte ich hinterher. Zu viel für meine armen Nerven. Auch der belgischen Familie und weiteren Gipfelankömmlinge spürte man eine leichte Nervosität an. „Was an diesem Weg war jetzt easy?“ 


Zu Mittag gönnten wir uns alle vier leckerstes „Juta“, eine Bohnensuppe mit Speck auf der Hütte des Kamins. „Es war eine kluge Entscheidung hier oben wandern zu gehen. Unten im Tal steht die Hitze bei 32 Grad.“ „Da schreit es doch nach einer Erfrischung im Soča!“ „Bestimmt hat auch sonst gar niemand diese tolle Idee.“ Wir gondelten den Berg hinab und fuhren zum place-to-be. „Herrlich!“ 


Am folgenden Morgen und Abreisetag, rafften wir uns tatsächlich um 8 Uhr in der Früh zur Yoga-Session auf. Anders als gedacht, hatte dieser Modus viel mehr mit Anstrengung zu tun. Lindsay forderte alles von uns ab. „Ich mache eher so sportliches Yoga, für Wanderer und Kletterer.“ Ein Krampf im Oberschenkel sagte mir zugleich, dass noch viel Luft nach oben war. „Eine tolle Erfahrung, vielleicht kommen wir noch mal wieder. Aber vielleicht finden wir unsere innere Mitte ja auch in Kroatien.“ Und mit diesen Worten starteten wir in Richtung Adria. 














Samba in Bovec

„Wo ist denn nur dieser verdammte 4. Schlüssel?“ „Das kann doch nicht sein, gestern  lagen doch noch alle vier hier oben auf dem Schrank.“ Was für mich schon Routine bei jeder Reise ist, wurde nun zur großen Gemeinschaftsaufgabe und Geocachingchallenge: Findet Zimmerschlüssel Nummer 1, der seit 24 Stunden abhanden gekommen war. 


Am Morgen zuvor stiegen wir frisch gestärkt und munter in das Rafting-Schlauchboot, das uns über den eiskalten Soča-Fluss trug. Mit unserem brasilianischen Guide ‚Paolo‘ hatten wir einen wahrhaftigen Glücksgriff gemacht, konnte er nicht nur durch definierte Oberarme Eindruck schinden, sondern glänzte er auch noch als frisch gebackener Rafting-World-Championship-Teilnehmer, bei dem sein brasilianisches Nationalteam immerhin Platz 6 belegte. „Ein Guide, genau angemessen an unsere Skills.“ Zwar sprach er quasi kein Wort Englisch, doch feierten wir jede Umkurvung der Felsen mit einem „Samba“ und hoch erhobenen Paddelmoves. Während Karin und Petra hochzufrieden mit der Anzahl zu tätigender Paddelschläge, sowie Höhe und Wassergewalt der Strömung waren, bemerkte man bei Kristin eine gewisse Unruhe und beinahe Langweile, die offensichtlich immer mal wieder dazu führte, dass das Boot in Schräglage gebracht wurde. Mit gestenreicher Zeichensprache versuchte sie Paolo verstehen zu geben, dass sie mehr Samba benötigte. Ihr Wunsch wurde Befehl. Zunächst wurde das Schlauchboot an einem Felsen trappiert, was als Rutsche diente, mit der man vom Gestein aus in das eiskalte Nass schlittern konnte. Doch als auch Karin, Petra und ich uns dieser Challenge stellten, musste sich Paolo noch etwas beeindruckenderes einfallen lassen. Ein 5 Meter hoher, freistehender Fels im Fluss, dessen Herausforderung erst einmal war das glatte Gestein hinaufzukraxeln, sollte Kristin zufrieden stellen. Aus, für mich unvorstellbarer Höhe, galt es soweit abzuspringen, dass man nicht am Vorbauch des Felsens hängen blieb. Kristin meisterte diese Disziplin mit Bravour, während der Rest von uns für Videomaterial und Samba-Klatschen sorgte. 

„Tolle Sache dieses Rafting.“ „Aber ohne den Neoprenanzug quasi nicht zu bewältigen.“ „ 8 Grad? Fühlt sich an wie Minus 1.“


„Der Schlüssel zum Erfolg ist immer noch nicht aufgetaucht.“ „Leute, jetzt sucht doch noch mal bitte alles akribisch ab.“ „Der muss doch hier irgendwo in diesem Raum sein.“ Das Ding tauchte einfach nicht auf. Auch bei der Rezeption hatten wir kein Glück. „Nein, hier wurde nichts abgegeben.“ „Ok Leute, dann lasst uns erst mal was trinken gehen. Hier hilft ja nur noch Alkohol.“


Zwei bis drei Aperol Spritz später hatten wir den Zustand des Egal-Seins erreicht und erfreuten uns den restlichen Nachmittag auf der belebten Plaza Bovecs zu genießen und einfach nur Menschen und seltsame Fahrzeuge zu beobachten. „Das Red-Bull-Dosen-Auto fährt doch jetzt schon zum x-ten Mal hier durch.“ In diesen Moment verursachte selbiges um ein Haar einen Vorfahrtsfehler und sorgte für große Aufregung, sowie reichlich Diskussion in unserer Runde. Ich war heilfroh, dass ich auch in diesem Urlaub wieder Wissen2go am Start hatte und wir mit Fachwissen aus den Themenbereichen Religion, Englisch, Mathematik und geballtem Allgemein-Know-How die Reise bestritten. Für alles andere war Mr. Google zuständig, der uns mit seiner Übersetzungs-App, mit integrierter Kamerafunktion, höchst beeindruckte und slowenische Texte im Livemodus auf Deutsch präsentierte. Schade dennoch, dass seine künstliche Intelligenz nicht zum Finden des Schlüssels beitrug. 


„Ich such jetzt noch mal im Auto.“ beschloss Karin, der mittlerweile der Panikmodus dezent anzusehen war. Petra, ausgeglichen wie immer, setzte sich derweil auf den Balkon, um die Suchaktionen nicht weiter zu stören. Ich durchkämmte abermals meinen Koffer, quälte mich das schlechte Gewissen, da ich ja bekannt dafür bin alles zu verlegen. Kristin, die bis dato nur uninteressiert an der Suche teilnahm, entschied sich plötzlich auch mal ihre Sachen auf links zu drehen. „Ach, hier ist er ja.“ lachte sie unschuldig und zog Schlüssel Nummer 1 aus ihrem Wäschebeutel. 


Samba in Bovec. Und wir gingen zu Pasta und Wein über. 













Weg des Friedens

„Wir haben gespart, wir können länger schlafen und müssen nicht diese komische Unterwasserrolle machen.“ resümierte Karin, als wir die Kayaktour gecancelt und dafür die Rafting-Adventure gebucht hatten. 


Wir befinden uns in Bovec, einem 3.000 Einwohner-Ort in den Julianischen Alpen inmitten des Soča-Valleys in Slowenien. Bovec, das ist eigentlich so ein Bilderbuch-Ort. Bezaubernde Wälder, der smaragdgrüne Soča-Fluss, majestätische Berge, beeindruckende Wasserfälle und Schluchten. 

Und doch trügt der Schein. Kriegsdenkmäler, Kavernen und Schützengräben zieren ebenfalls die Landschaft. Denn vor über 100 Jahren erstreckte sich hier die längste Front des 1. Weltkrieges - die Soča-Front. Vom Zweitausender Rombon bis zur Adriaküste wurden hier blutigste Schlachten ausgetragen, bei der über eine Millionen Menschen ums Leben kamen. Auslöser: Am 23. Mai 1915 hatte Italien Österreich-Ungarn den Krieg erklärt. Und so gerieten die Slowenen im Ersten Weltkrieg zwischen die Mühlsteine der Großmächte. 300.000 Talbewohner wurden nach Österreich-Ungarn evakuiert, um den Feuergefechten zu entgehen. Oder sie wurden schlichtweg aus ihren Häuser gejagt, weil die Soldaten Unterkünfte brauchten.

Die Geschichte wiederholt sich. Immer. 


„Auf dem Weg des Friedens.“ So nennen die Slowenen den 90 Kilometer langen Trail von den Alpen bis zur Adria, der als Erinnerung und Mahnung gegen den Krieg dient. Einen Teil davon erkundeten Karin, Kristin, Petra und ich, als wir nach unserer 12-stündigen Anreise dringend Auslauf benötigten. „Warum hatte denn niemand auf dem Schirm, dass an diesem Wochenende einfach ALLE Bundesländer Ferien hatten?“ Und dann wollten natürlich auch noch die ganzen Holländer nach Kroatien. Selbst Unmengen britischer Fahrzeuge befanden sich auf der Gasse und verstopften komplett Österreich, welches nur zur Durchreise diente. Da es auf die paar Meter auch nicht mehr ankam, navigierten wir auch noch versehentlich um einen 50 Kilometer Schlenker nach Italien. „Schöner Salat, aber schöne Europareise!“ 


„Wie lang war ich schon nicht mehr in einem Hostel. Wahnsinn!“ Ein Hostel erscheint zwar erst einmal spartanisch und weniger luxuriös, doch es ist auch ein Ort der Begegnungen. Auf einem 11“ iPad-Display hatten wir die Partie England gegen Deutschland mit unseren letzten verbleibenden, mobilen Daten aktiviert, da hatte sich auch schon eine Schar weiterer Hostelbewohner hinter uns eingefunden, um dieses hochspannende Spiel mitzuverfolgen. Selbst die Hostelbediensteten erkundigten sich regelmäßig nach dem Stand und fühlten sichtlich mit uns mit. Trotz Niederlage wurde es noch ein interessanter Abend. „Ich habe die Unterwasserrolle heute gemacht. War nach dem dritten Mal gar nicht mehr so schlimm“, sprach René, der Wochen vorher bereits die Zugspitze erklommen und ein Hardcore-Survival-Camp mit psychologischer Betreuung in Meck-Pom besucht hatte. Andreas war mit dem Fahrrad von Frankfurt nach Bovec angereist und Sebastian lebte einfach von Tag zu Tag durch Südeuropa, während die beiden Stefans gerade ihre Jobs gekündigt hatten und ein Leben zwischen Meditation und Bergchallenges führten. „Ich fahre morgen für 10 Tage in ein Schweigekloster nach Belgien.“ verabschiedete sich Stefan 1 und Stephan 2 plante seine mehrtägige Wandertour auf den Triglav, den höchsten Berg Sloweniens.


„Krasse Typen.“ stellten wir fest. „Und wir machen morgen nur so ein bisschen Wildwasser-Rafting. Ohne Eskimorolle.“