Green rocks! - Hurricane Festival 2019

And I'll find strength in pain
And I will change my ways
I'll know my name as it's called again.


'Cause I need freedom now and I need to know how
To live my life as it's meant to be


- Mumford and Sons


"Auf was habe ich mich hier nur wieder eingelassen?!" Mit unglaubwürdigen Augen überflog ich die Festival-Packliste von Löön und fragte mich wie ich die nächsten 4 Tage "Leben außerhalb der Komfortzone" überstehen sollte. "Gummistiefel? Besitze ich so etwas überhaupt?" Es war doch bestes Traumwetter vorausgesagt! Gedanklich malte ich mir ein worst-case-Szenario mit verschlammten Zeltplatz, ohrenbetäubender Musik und zerstörten Alkoholeichen aus. "Sind wir für so was nicht einfach zu alt Löön?"

Doch es gab kein Zurück mehr. Löön beharrte auf den Top-Headlinern des Wochenendes und dass uns eine grandiose Musikauswahl, wie diese, nie wieder unterlaufen würde. "Na gut.", räumte ich ein, "aber was ist mit Strom und warmen Duschen?!" "Geduscht wird auf einem Festival nicht! Und Strom kannst du direkt von deiner Liste streichen." Eine Festival erprobte Löön, die bereits sämtliche Rock-am-Ring Unwetterszenarien durchlebt hatte, wusste einfach wie der Hase lief. Ich gab also klein bei und fügte mich der Situation, hatte ich Löön eh schon die ganze Arbeit hinsichtlich Erwerb der Karten, Organisation der Fahrt und Planung der Campinggestaltung überlassen.

Mit vollgepacktem Kofferraum, der einen Essensvorrat von drei Raviolidosen, zwei groben Bratwürsten, zwei Chili Käsebrutzlern und 4 Steaks vom Korting beherbergte, düsten wir also am Donnerstagmorgen Richtung Norddeutschland und erreichten, in nur 7 anstatt 4 Stunden, den 12.000-Einwohner Ort Scheeßel in Niedersachsen. Von dort aus wurden wir ganz unkompliziert auf einen Rasenparkplatz eingewiesen, der sich bedauerlicherweise als der weitest, möglich entfernte Punkt vom eigentlichen Campingplatz herausstellte.

Beladen wie Gebirgsesel, schritten wir im Schildkrötentempo Richtung Festivaleingang. Mit zwei Rucksäcken, einer Isomatte, einem Campingstuhl und drei Taschen unterm Arm, stellten wir uns einmal mehr die Frage was wir an "Es reist sich besser, so viel besser, mit leichtem Gepäck" eigentlich nicht verstanden hatten. "Die Packliste werde ich noch dieses Wochenende reformieren!" betonte Löön. Und ich schaute wehmütig, den mit uns marschierenden Festivalgurus hinterher, die Boller-, Einkaufs- und Kinderwagen umfunktioniert und sich als unterstützendes Transportmittel zu Nutze gemacht hatten. Als wir erschöpft und halbtot nach einem Kilometer endlich den Eingang zu "Grüner Wohnen" erreicht hatten, wurden wir on-demand des Feldes verwiesen. "Wo habt ihr denn eure Festivalbändchen?" Löön und ich schauten uns ungläubig an. "Wie, gibt es die nicht hier?" "Nein, bitte einmal Retoure und 500 Meter zurück. Euer Zeug könnt ihr übrigens nicht hier stehen lassen."

Ich erinnere mich noch, dass ich an diesem Punkt das Festival bereits für mich abgehakt und zu den Dingen "Nie wieder im Leben" abgelegt hatte. Doch wie so oft im Leben, verändern sich die Dinge doch recht zügig. Lööns altbekannte Festivalkameraden aus dem hohen Norden wurden unsere Helden des Tages - und wenn man es genau nimmt - auch eigentlich des ganzen Wochenendes. Die drei "Nordlichter" schnappten sich unsere Ladung Gepäck und bauten auch mal eben unser Zelt auf, während wir Festivalbändchen und die restlichen Sachen aus dem Auto holten. Zur Krönung stand unter dem Pavillon der Jungs auch gleich noch eine besonders gute und eisgekühlte Cuba Libra Mischung für uns bereit. "Alles richtig gemacht." Und unter den ersten Klängen der Wildlife-Bühne und einigen edlen Endgetränken, stießen wir auf den ersten Abend auf dem Hurricane Festival an.

Bereits nach der ersten Nacht stellte ich fest, dass die Isomatte viel zu dünn, oder ich einfach viel zu verwöhnt war. An unserem Zelt verlief zudem der Hauptverkehrsweg zu den sanitären Anlagen, der bereits am frühen Morgen hochfrequentiert war. "Schau mal Löön, die gehen alle duschen." und meine Augen leuchteten. "Es wird nicht geduscht, wir sind auf einem Festival." Enttäuscht setzte ich mich an den Campingtisch und Löön setzte warmes Wasser für Kaffee und Tee auf, während sich die Nordlichter, ganz Festival-like, mit Eistee am Morgen versorgten. Der weitere Tagesablauf bestand aus Würfeln, Erkunden des Festivalgeländes und Besuch des Combi-Marktes. Dieser Combimarkt war ein riesengroßes Zelt mit sämtlichen Lebensmitteln und Utensilien, die man auf einem Festival so braucht. Gekühltes Bier, 5-Minuten Terrinen, Holzkohle, Zahnbürsten und Kopfschmerztabletten. Was will man mehr?! Außerdem war es gleichzeitig der einzige Point an dem man WLAN erhielt, da auf dem restlichen Gelände rein gar kein Empfang herrschte. Noch nicht einmal der gute alte SMS-Versand war möglich.

Mittags warfen wir das Fleisch auf den Grill und zogen anschließend zu den Hauptbühnen, an denen am Freitagabend "Bosse", "Papa Roach" und "Die Toten Hosen" ordentlich für Zündfeuer sorgten. Aufgrund eines leichten Schwächeanfalls und einer nicht vorhandenen Portion IBUs, musste ich jedoch den Weg zurück ins Camp aufsuchen. War aber gar kein Problem, Campinos Stimme war noch tief bis im letzten Zelt lautstark zu hören.

Am nächsten Morgen traumhaftes Wetter. Zudem stellte ich fest, dass mobile Datennetze zwischen 5 und 7 Uhr in der Früh nutzbar waren und das sogar in LTE-Qualität. Und nachdem selbst zwei von drei Nordlichtern die Duschen aufgesucht hatten, gab auch Löön die Lizenz für frisches Wasser frei. Ab dem Morgen duschten wir jeden Tag. Und ich war glücklich.
Besonders froh waren wir auch darüber, dass wir uns für "grüner Wohnen" entschieden hatten. Der Campingbereich versprach mehr Ruhe und weniger Müll durch gleichgesinnte Mitcamper. Es lagen zwar immer noch genug Dosen herum und Ruhe kehrte auch immer erst um 3 Uhr nachts, nach den täglichen Aftershowpartys, ein. Aber ich vermag mir gar nicht auszumalen, wie so ein Wochenende in "Normalform" abläuft. Dann doch lieber die Light-Variante.

Der Samstag wurde "mein Tag". Mittags schauten wir uns noch die Empfehlung von Löön "Schmutzki" an, die für ordentlich Staubaufwirblung auf der Forest Stage sorgten. Später dann ein Highlight nach dem nächsten. "Flogging Molly", "Bloc Party", "AnnenMayKantereit" und "Mumford and Sons" -  so viel gute Musik kann man eigentlich gar nicht auf einmal hören. Jedoch mussten wir auch erkennen, dass Nordlicht "Marc" rein gar nichts mit der samstags Playlist anfangen konnte und nicht einmal von "Pocahontas" überzeugt wurde. "Und wegen dem Lied haben wir jetzt zwei Stunden hier gewartet?!" fragte er ungläubig Nordlicht "Stresie". "Das war ja mal nichts! Also da habe ich mir ja deutlich mehr erwartet!".

Am vorletzten Festivaltag glühte der Feldboden bei Temperaturen von weit über 30 Grad. "Schau mal Löön, ich bin braun geworden" freute ich mich. "Nein Juli, das ist nur Staub." Wir waren zu nicht viel mehr in der Lage als unter dem Pavillon in unseren Campingstühlen zu sitzen und dem Menschenstrom zuzusehen, die mit Kulturbeuteln, Wasserkanistern und verschmutzem Geschirr unser Zelt Richtung Waschpoint passierten. Stresie und Sunny hatten ihre kleinen Wasserpistolen aktiviert und sorgten mit einer spritzigen Erfrischung, bei den teilweise dehydrierten und erschöpften Campern, für ein Lächeln im Gesicht. Löön und ich manövrierten unterdessen ein letztes Mal den Dosenöffner in das Raviolibehältnis, was uns bereits am ersten Tag nicht wirklich gelang. "Weißt du eigentlich, dass ich überhaupt keine Ravioli mag?" "Ich auch nicht Juli, aber das ist nun mal Hauptbestandteil einer echten Festivalerfahrung," Aus lauter Verzweiflung hauten wir uns auch noch die Bundeswehrverpflegungsration "Thunfisch mit Lemon und Pfeffer" als Beilage dazu. Es schmeckte fürchterlich. "Heute Abend holen wir uns noch mal Pakistanisch auf dem Festivalgelände." "Ja, oder einen Falafelwrap."

Für den grandiosen Abschluss des Hurricane Festivals sollten die "Foo Fighters" und die legendäre Band "The Cure" sorgen. The Cure machte den Anfang und wir wussten auch eigentlich gar nicht mehr so richtig was die eigentlich singen, aber "war ja ne Kultband". Zwei Stunden schläferte uns das synthetische Pop-Geduldel ein, bevor wir doch noch rechtzeitig die Reißleine zogen und uns frühzeitig am zweiten Wellenbrecher für die Foo Fighters positionierten. In einer Oberhammer-Show lieferten Dave Grohl und seine Bandkameraden eine Rock-Show vom Allerfeinsten ab. Absolutes mega Highlight am letzten Abend! Kann man nur jedem ans Herz legen.

Glückselig und mit einer Falafelbox in der Hand, verließen wir das Bühnengelände und verabschiedeten unsere Nordlichter, die noch in der Nacht abreisten. Auf einem halb leer gefegten Campingplatz wachten wir am nächsten Morgen auf, ließen noch einmal die Sonnenstrahlen während des Zähneputzens auf uns scheinen und düsten dann Richtung Heimat.

Was für ein legendäres und unvergessliches Wochenende. Unfassbar gute Livemusik, tolle Stimmung, super Organisation des Veranstalters und neue Freundschaften aus dem Norden.
"Das nächste Mal nehmen wir aber ein Wohnmobil" grinste Löön. "Ich bin froh, dass du es sagst." lachte ich erleichtert.


It's times like these you learn to live again
It's times like these you give and give again
It's times like these you learn to love again
It's times like these, time and time again

- Foo Fighters