Schaun' wir mal wie's wird. Wie's wird.

"This is totally insane." sprach Eve, als wir den vernebelten und Schnee überzogenen Fels vor uns sahen. Wir hatten die Kanadierin auf Kreuzung Silvrettastausee und unserer zweiten Etappe zur Saarbrückener Hütte mit ins Schlepptau genommen, hatte sie den Tag zuvor bereits ihre Route zur Wiesbadener Hütte, aufgrund schlechter Sicht, abbrechen müssen. "Vielleicht gar nicht so schlecht jemanden von der Navy dabei zu haben." dachte ich mir. Und so setzten wir zu fünft die Polarexpedition fort.

Was zuvor geschah...

"Wir freun' uns. Schaun' wir mal wie's wird. Wie's wird." verabschiedeten wir uns von daheim, mit dem Wissen, dass uns in St. Gallenkirch / Österreich, dem Start unserer diesjährigen Hüttentour, schwerste Regenunwetter erwarteten. Das Bergfex Wetterbarometer schwankte immerhin täglich zwischen 36 - 38 Liter pro Quadratkilometer und einer Außentemperatur von 1 -3 Grad. "Das ist nicht viel am Berg, oder?" Jeder noch so kleine Grashalm mit Hoffnung wurde ergriffen. "Oh Leute, es hat sich schon wieder was verändert.", rief becks, die sämtliche Wetter- und Bergprognosen-Apps im Startbildschirmbereich prominent hinterlegt hatte. "Hier steht jetzt nicht mehr Liter sondern 35 cm. Ich glaube das bedeutet Schnee." - "Schnee ist immer noch besser wie Regen", stimmte Kristin positiv und wies daraufhin, dass sie auch Schneeschuhe organisieren könnte. Derweil fragte sich Lari ein weiteres Mal wie sie sich erneut auf eine Tour mit uns einlassen konnte. War die Anstrengung am Berg nicht schon genug, grätschte nun auch noch eine Kaltwetterfront durch unsere Pläne. 

"Rücken ist das neue Rauchen.", warf Lari als Fun Fact in die Runde, während wir uns mal wieder alle über unsere Schmerzen ausgelassen hatten und ich nach einer Stunde Fahrt bereits meinen Ischias verfluchte. "Das ist doch alles nicht mehr normal". Trotz alledem kamen wir gut durch und erreichten St. Gallenkirch bereits gegen 15:30 Uhr. "Oh, habt ihr die Mail nicht erhalten?", fragte uns die Hotel-Angestellte. "Das Hotel wird gerade renoviert, ihr werdet upgegradet. Fahrt einfach auf die andere Straßenseite, dort ist das anderes Hotel." Jackpot. Ein Grund mehr den Aufenthalt um einen Tag zu verlängern, war uns an diesem Tag bereits klar, dass wir eine Etappe, aufgrund der Starkregenfälle canceln mussten. Die Tübinger Hütte wurde gestrichen und becks und Kristin erörterten mit Hochdruck sämtliche Routen und Alternativwege auf analogem Kartenmaterial, um wenigstens 3 Tage Wandererlebnis zu ermöglichen. Derweil telefonierte ich die Hüttenwirte ab, die von unserer ganzen Storniererei und Neubuchung wahrscheinlich schon komplett verwirrt waren. In dem ganzen Hickhack buchten wir auch noch Halbpension, was uns zu einem späteren Zeitpunkt noch vor die Füße fallen sollte. Nachdem alles soweit geregelt war, genossen wir den extra Tag im Tal mit Wellness, Tischkickern, Essen und Outletshopping, bei dem wenigstens Lari fündig wurde und sich eine neue Regenjacke zulegte. 

Etappe 1 // Silvrettastausee - Wiesbadener Hütte

Mit dem Auto erklommen wir den Serpentinen Weg zum Wanderparkplatz, der uns mit viel Nebel und leichtem Schneefall begrüßte. "Wir haben jetzt ein Zeitfenster von 3,5 Stunden um trockenen Fußes auf die Hütte zu kommen.", wies becks aus, was zunächst aber mal keinen interessierte, waren alle zu sehr damit beschäftigt für Bild- und Videomaterial zu sorgen. "Leute.", ermahnte becks, die das Bergfexbarometer nun auch über ihre smarte Uhr abrufen konnte. "Wir müssen jetzt los." Und so umkurvten wir den im Nebel hängenden Silvrettastausee und erklommen den ersten kleinen Wasserfall. "Wo wollt ihr denn hin?", fragte Kristin, die weiter unten lief. "Wir nehmen den Höhenweg.", sprach becks. "Aber wir wollten doch den sicheren Forstweg nutzen?", fragte Kristin erstaunt. "Ach papperlapapp. Wir sind doch nicht zum Spaß hier.", wies becks Richtung Berggeröll und wir steppten alle hinter her. Nach nur wenigen Minuten kam uns ein Pärchen entgegen, das uns noch einmal zurückrief. "Wir sind umgekehrt, da oben ist schwerer Erdrutsch, wir konnten nicht weitergehen. Wollt ihr Bilder davon sehen?" "Ach, lieber nicht.", und wir setzten die Wanderung auf unbekannten Terrain fort. "Meinst du nicht wir hätten uns wenigstens mal ein Bild machen sollen?", fragte ich unsicher. Doch selbst Lari meinte "Die hatten doch nur Jeans an. Und Stöcke hatten die auch keine." Aus nassem Untergrund wurde Schnee, aus Kieselsteinen großes Geröll und aus kleinen Wasserfällen wurden große, mehrspaltige reisende Fälle. Und Goretex wurde unser bester Freund. Ein falscher Schritt und das Drama wäre groß gewesen. "Jetzt stellt euch mal vor wir wären den langweiligen Forstweg da unten gegangen.", rief becks, als wir uns der Hütte näherten und uns sämtliche andere, best ausgestattete Wanderer mit Pickel und Experience vom sicheren Parallelweg begegneten. "Ihr seid da oben lang? Echt, das ging?" Und wir alle fühlten uns in diesem Moment wie echte Abenteurer. 

"Wir haben gebucht", rief ich beim Betreten der Wiesbadener Hütte dem Hüttenwart entgegen, der uns schon da für komplette Anfänger abstempelt hatte. "Wo kommt ihr her?" und insgeheim hoffte er auf Wiesbaden, denn da kommen wohl alle seltsamen Bergtouristen her. Mit Mittelhessen und keiner einzigen Verbindung zu Wiesbaden konnten wir wieder Pluspunkte sammeln. Doch so ganz waren wir noch nicht aus dem Schneider. Ziemlich enttäuscht zeigte er sich als wir das Halbpension-Menü, bestehend aus einer Backerbsensuppe, Schokoladenkuchen, Erbsen, einem großen Stück Putenbrust und einer riesen Portion sogenannter "Hong-Kong-Pommes" (alias Reis), mit der man eine dreiköpfige Heilsarmee hätte durchfüttern können, nicht vollständig aufessen konnten. "Warum haben wir denn diesen Anfängerfehler begannen? 45 € für Essen was wir wieder zur Hälfte zurückgeben müssen. Morgen bitte Storno auf der nächsten Hütte und dann a la carte!" 

"Wer traut sich den Hüttenwart nach einem Empfangsmast zu fragen? Ich geb auch nen Schnaps aus.", fragte ich in die Runde, wollte doch jeder wenigstens ein Lebenszeichen setzen. becks fasst sich ein Herz, standen bei ihr bereits 150 ungesendete Nachrichten im Postausgang. Und außer, dass sich die Hüttenwarte über uns belachten und meinten, das kenne man sonst nur von Schulklassen, wiesen sie uns den Mast in eisiger Kälte aus. Mit gerade so Edge und einer halbwegs funktionierenden SMS-Leitung übermittelten wir Nachrichten, die in der funktionierenden Infrastruktur mehr für Fragen als für Antworten sorgten. "Hast du mir eine SMS geschickt? Oder ist das ein Fake?" Wenigstens hatte die digitale Awarness Früchte getragen. 

Etappe 2 // Wiesbadener Hütte - Saarbrücker Hütte

Mit einem steinharten Kümmelbauernbrot für läppische 15 €, einer Nacht mit max. einer Stunde Schlaf, sowie einer Sicht von "-1" starteten wir die zweite Etappe Richtung Saarbrückener Hütte. "Wie wollt ihr denn eigentlich dorthin?", fragte uns der Hüttenwart, mittlerweile doch etwas besorgt, hatte er uns wohl ins Herz geschlossen und traute uns nach wie vor rein gar nichts zu. "Eigentlich wollten wir wieder den Höhenweg wählen.", sprach becks selbstbewusst. "Du liebe Zeit. Auf keinen Fall. Ihr könnt den Weg maximal gehen, wenn das Wetter komplett aufgeklart ist. Bitte entscheidet euch erst unten am Stausee für die finale Route." "Ok, machen wir. Wir gehen bestimmt den Forstweg. Safety first.", beruhigte ich ihn. Und auch die anderen nickten brav ein. Am Stausee angekommen ließen wir uns für eine ausgiebige Fotosession herab, waren aus meiner Sicht die Videosequenzen bislang viel zu kurz gekommen. "Do you want me to take a picture of you?", fragte plötzlich eine vorbeiwanderte, junge Frau. Und dies war der Beginn einer wunderbaren Wanderfreundschaft. Die 25-jährige Kanadierin hatte am Tage zuvor ihre Route zur Wiesbadener Hütte abbrechen müssen, da sie aufgrund von Schneefall die Wegpunkte nicht mehr entdecken konnte. Nun war ihre größte Angst auch die nächste Hütte nicht zu erreichen, war sie doch extra aus Kanada für eine Woche angereist um das Erlebnis Hüttenwanderung zu "discovern". Bewirterte Hütten gibt es in Nordamerika nämlich nicht und überhaupt ist es in Kanada viel teurer als nach Eruopa zu reisen. First world problems. 

"Of course you'll come with us" lud Lari (Englischlehrerin von Beruf) Eve sofort ein und auch ich freute mich über einen regen Austausch meiner damaligen Canada-Experience. Selbst becks war völlig angetan nun endlich inernational konferieren zu dürfen. Zu unser aller Glück stellte sich auch noch heraus, dass Eve Fußballspielerin ist. "For my club and for the military." "Oh, die ist von der Navy", bemerkte becks. "Jetzt sind wir alle verratzt." "Gehen wir jetzt eigentlich den Forst- oder Höhenweg?", brachte Kristin noch mal das Kernthema auf den Tisch. "Ach, die Sonne kommt doch langsam raus.", redete ich mir das hellbleiche Etwas am Himmel schön. "Wir haben doch jetzt jemanden von der Navy dabei. Wir gehen den Höhenweg.", sprach becks motivierend. Und ich erinnerte mich abermals an die Worte ihres Onkels, der Bergführer ist: "Storno. Storno. Die Mädels sollen alles stonieren." 

Frohen Mutes schritten wir voran und waren fast geneigt T-Shirt und kurze Hosen zu aktivieren. "Es geht gleich wieder hoch. Auf 2.800 Meter. Denkt bitte dran.", erwähnte Kristin, als ich schon die Zip-Funktion meiner Hose näher studierte. Unter dessen führten Lari und Eve auf Englisch höchstem Niveau Gespräche, sodass becks erneut zum zügigen Weitergang ermahnen musste. "Wir haben jetzt ein Zeitfenster von 3,5 Stunden, dann fängt es wieder an zu regnen. Let's go!". Ab 2.500 Meter setzte dann Nebel und leichter Schneefall wieder ein. Die Berge waren allesamt von einer cm-hohen Schneedecke bedeckt und die Luft wurde dünner. Erstes Nasenbluten wurde bei mir sichtbar. "Ist nur die Höhe.", beruhigte ich. Ein weiterer riesiger, felsiger Schneeberg trat vor uns zum Vorschein. "This is totally insane." sprach Eve. "Last year I've been with a mens group to the Antarctica, but this is crazy! My parents and friends will not believe me. And I will better not tell." Ich konnte die Worte der Militärangestellten nicht recht einordnen, reichte ihr aber sicherheitshalber einen meiner Stöcke, trug sie keinen bei sich. "Ich komm schon klar, halte mich eh lieber an den Felsen fest." Man wächst mit seinen Aufgaben. 

Die Sicht wurde immer schwieriger. Vor uns keine Menschen. Hinter uns keine Menschen. Doch die Wegmarkierungen waren noch sichtbar. "Wir haben hier vorne alles im Griff", rief becks, die mit Kristin die Polepostion besetzte. Ich sicherte, wie immer, hinten ab. (Ein Grund mehr meine völlige Unfitness zu übertunschen). "Eine zweite Lunge wäre wie immer brauchbar", bestätigte auch Lari, während ich Eve von dem "Elephant, that you'll have to eat in slices" berichtete und ihr die Metapher des Berges näher brachte. Irgendwann erreichten wir dann endlich den Abstiegsbereich, der noch einmal alles von uns abforderte. Rutschpartien inklusive. Mit einer gekonnten "Defender"-Grätsche holte Eve nicht nur sich, sondern auch Lari von den Füßen. Doch am Ende blieb glücklicherweise jeder unversehrt. Eine Minute vor Regenbeginn erreichten wir die Saarbrücker Hütte und unsere sichere Unterkunft für die Nacht. Wir cancelten, zum Unmut des Hüttenwarts, auch noch unsere Halbpension und bestellten dafür völlig wahllos und wieder einmal viel zu viel a la carte. "Wer traut sich dem Hüttenwart zu sagen, dass wir einen Kaiserschmarrn abbestellen müssen?" fragte ich in die Runde. Und diesmal war es Lari, die die schwere Bürde auf sich nahm. "Wir sind einfach so Amateure."

Etappe 3 // Saarbrücker Hütte - Abstieg über Madlener Haus

Mit einer Runde Wizard, ein Spiel, dass auch Eve kannte, beschlossen wir den Abend und gingen Englisch sprechend ins Bett. "Oh this is so beautiful. I'm a real English speaker now." freute sich becks. 

Der nächste Morgen begrüßte uns mit Sicht +100 und nie zuvor gesichteten Sonnenstrahlen. "Prima Leute, dann können wir ja auch den Klettersteig machen.", freute sich becks erneut. Kristin war sowieso am Start, aber auch Lari ließ keine Zweifel an diesem Abenteuer sichtbar werden. "Hm, dann geh ich wohl mit. Will ja keine 2 Stunden hier unten sitzen.", gab ich unbequem von mir. "Ach Juli, das schaffst du schon." Gruppenzwang. Schon immer meine Achillisferse gewesen. Mit Klettergeschirr ausgestattet fand ich mich wenige Minuten später in der Wand. Während die anderen drei auf Hochtouren performten, lief mir der Angstschweiß beide Backen hinunter. Oder waren es doch Tränen? Bergführerin becks lotste und koordinierte mich jedoch einwandfrei die Felsen hinauf und Lari und Kristin motivierten von der linken Seite. Emotional over the top und mit dem Nerven am Ende erreichte ich den Pre-Gipfel. Der Hauptgipfel war so schneebedeckt, dass wir diesen leider nicht erklimmen konnte. Extrem schade *Ironieoff*. Es reichte mir auch schon den ganzen Fels wieder herunterzuhangeln und mich zwischen "Hier wirds jetzt extrem schwierig" und "Das Stück ist jetzt richtig schlimm", sowie "Du musst dich einfach nur in die Seile hängen" emotional in Balance zu halten. Am Ende fühlten wir uns aber alle gut. Wie Abenteurer. "Schickt aber auch jetzt mal."

"Jetzt gehts auch nur noch bergab". Erneut wählten wir die malerische Route durch schottisch wirkende Highlandgefilde, in denen wir auch Schotten antrafen. "Oh, my English becomes more and more the yellow from the egg.", erfreute sich becks ein drittes Mal. Derweil erstreckten sich vor uns zwei Stauseen und mit uns bestes, sonniges Wetter. Wenigstens waren wir die ganze Zeit über trocken geblieben und hatten insgesamt viel mehr geschwitzt als gefroren. Außerdem hatte Lari, auch in diesem Jahr, all ihre neu erworbenen Hautkosmetikprodukte während der Tour höchst erfolgreich akquiriert und an die Frau bringen können.

Der letzte Abschnitt zum Wanderparkplatz forderte noch mal alles von uns ab. Ein sehr undankbares und zermürbendes Stück. Immer das Ziel vor Augen, aber keinen Meter sichtlich vorwärts kommen. Um 15 Uhr erreichten wir den Parkplatz und düsten von dannen. 6 Stunden Fahrt und einige Pausen später erreichten wir die Heimat. Randnotiz: Nie mehr Abstieg und Heimfahrt an einem Tag. Schon gar nicht, wenn man den nächsten Tag arbeiten muss. 

Am Ende des Tages kann man sagen: Wer wagt, gewinnt. Und: Wir hatten unheimlich viel Glück oder in English please: We were lucky mushrooms again. 


"Im Wald, da war ein Weg, der Weg lief auseinander.

Und ich - ich schlug den einen ein,

den weniger begangenen,

und dieses war der einzige Unterschied."

- Rober Frost



Top 3 unnützeste Mitnahmen:

- Kappe (becks)

- Daunenjacke (juli)

- Jacken und Pullover (Kristin)