Der Zug hat keine Bremse

 Wenn man die Berge liebt, akzeptiert man auch, dass sie die Bedingungen stellen.
- Jean-Christophe Lafaille

„Victory is a girl.” prangerte es mit großen Lettern auf dem soeben käuflich erworbenen T-Shirt der Marke Adidas, welches mir becks, mit strahlenden Augen, beim Verlassen des Outletshops, präsentierte. „Das ist voll meins.“ Gedanklich hatte unser Hüttenküken das T-Shirt bereits für die erste große Gipfelbesteigung übergestreift und sah sich damit das Gipfelkreuz erklimmen. „Wir müssen jetzt erst mal in Mittenwald ankommen.“ holte ich sie zurück auf den Boden. Der ungeplante Outlet-Zwischenstopp hatte zwar die Äuglein unserer Fitnessqueens Sonja & becks zum Leuchten gebracht und die Kassen des Sportgiganten in Herzogenaurach gefüllt, uns jedoch um eine ganze Stunde in Verzug gebracht. Gegen 14 Uhr erreichten wir, bei stabiler Wetterlage, Mittenwald. Wiederholungstäterin Lari, Hüttenküken becks und die drei Konstanten Kristin, Sonja und ich starrten dem majestätischen Karwendelgebirge entgegen. „Gegen 17 Uhr soll es regnen. Und gewittern. Nichts wie los!“


1. Etappe | Kristins Tag

Akribisch und mit jeder Menge Bonusmaterial, sowie Alternativrouten, hatte Kristin die diesjährige 5-tägige Hüttenwanderung geplant und mit Komoot digital in Szene gesetzt. Der Rest der Truppe hatte nur abgewinkt, sich aber weder richtig eingelesen, noch die Details der Karte studiert. So war es auch nicht verwunderlich, dass wir uns geschlossen für die vermeintliche Luxusoption „Auffahrt mit der Karwendelbahn.“ entschieden, dabei jedoch nicht beachteten, anschließend einige Höhenmeter wieder nach unten zu marschieren, was zum Einlaufen, im Nachgang betrachtet, doch völlig sinnfrei ist. „Ach, das ist also der schöne Panoramaweg.“ beäugte Kristin die nebelverhangene Route kritisch, die im Prospekt deutlich attraktiver aussah. „Es ist wie immer, bei schönem Wetter sieht alles besser aus.“ Und so arbeiteten wir uns durch die dramatisch, vernebelten Felswende des Gebirges, bis wir den Predigtstuhl auf 1.921 m erreichten. Es nieselte. Die Steine wurden glatt. Schafe blickten uns ungläubig an. „Und da wollt ihr weitermarschieren?“ schienen sie uns bezweifelnd zu fragen. Das nasse Drahtseil, was am Felsen befestigt war, sollte mehr zur Beunruhigung als zur Sicherheit beitragen. „Das ist hier gar nicht mal so ohne mit den glatten Steinen.“ bemerkte Sonja höchst verunsichert. Kristin und becks übernahmen die Vorhut und hangelten sich mit schwerem Gepäck die Felswand hinunter. Lari und ich beäugten die Situation kritisch. „Wenn selbst unsere zwei Kletterprofis ins Schwitzen kommen, möchte ich mir gar nicht ausmalen wie wir da gleich mittendrin hängen.“ „Wo war eigentlich noch mal der Notausgang?!“. Als Sonja gefühlt minutenlang in einer Passage festhing und der Regen immer stärker wurde, entschied ich mich zur Not das Gepäck abzuwerfen und gezielt herunterzuspringen. Definitiv besser als abzurutschen. Doch dank guter Moderation von Kristin, die von unten Anweisungen gab, wo der nächste Schritt hinzusetzen war, gelang, nach einer gefühlten Ewigkeit, endlich die Felsbezwingung. Erst später auf der Hütte lasen wir auf der Wanderkarte: „Nur für Geübte. Ausrufezeichen. Ausrufezeichen. Ausrufezeichen.“ Und vermutlich erst gar nicht bei Regen. Wie wir noch viel später von einer Rettungsaktion zwei anderer Wanderer erfuhren.

Die Hochlandhütte war einfach. Nicht befahrbar und daher nur durch Helikopteranlieferung, dreimal im Jahr, versorgt. „Wenn es letzte Woche nicht geregnet hätte, hätte ich schließen müssen.“ teilte uns der Hüttenwirt mit. Keine Dusche. Kein Strom für Gäste. Aber eine warme Erbsensuppe und ein Heuschnaps. Und dann war da noch Sibylle aus Frankfurt-Bornheim, unsere Zimmermitbewohnerin. Mit einer unvergleichlichen Art unterhielt sie uns an diesem Abend. Humorvoll, trocken und mit viel Wissen2go. „Ihr könnt alle Logopäden vergessen. Die meisten sind zu nichts nütze. Das was gelehrt wird ist größtenteils einfach nur Unsinn.“ sprach die ausübende Logopädin. „Erst als ich mich auf das Thema Schlucken spezialisiert habe, konnte ich den Menschen wirklich helfen. Denn ihr müsst wissen: Nur der Affe kann gleichzeitig schlucken und essen. Der Mensch kann das nicht. Dafür kann er sprechen. Außerdem befindet sich eure Zunge im Ruhezustand immer am Gaumen. Niemals unten.“ Und mit dieser Weisheit und Erkenntnis des Tages gingen wir zu Bett.

 

2. Etappe | becks Tag

„Natürlich kommst du mit uns Sibylle.“ Es hatte die ganze Nacht geregnet und der Hüttenwirt hatte uns dringlichst davon abgeraten die Route über den Berg mit weiteren, schwierigen Kletterpassagen fortzusetzen. Die Alternative war nach Mittenwald abzusteigen, mit dem Bus nach Scharnitz zu fahren und von dort zum Karwendelhaus zu wandern. „Na gut, uns bleibt ja nichts anderes übrig.“ Sibylle, die die gleiche Route wie wir geplant hatte, nahmen wir zugleich unter die Fittiche und wanderten ab nun zu sechst weiter. Becks, die sich eigentlich nur wegen des Aufstiegs und der vielen Gipfel für diese Tour beworben und angemeldet hatte, wurde nun auf ihre größte Probe gestellt. Oder sollte man besser sagen: Ihre defekte Hüfte und ihr dadurch völlig irreparables rechtes Knie. Unter schwersten Schmerzen stieg sie den Berg hinab. „Am besten lässt du nicht nur deine Hüfte, sondern auch gleich dein Knie richten, wenn du unterm Messer liegst.“ schlug Sonja vor. „Geht nicht, dienstags machen die nur Hüfte und mittwochs Knie.“ „Dann buch dir doch einfach ne Nacht-OP um 23:55 Uhr!“

„Ach, dann können wir unseren Bus ja gleich nach Scharnitz umparken. Das ist ja viel praktischer. Wir müssen ja eh am Ende der Tour noch mit dem Zug zurück.“ Kristin manövrierte uns, den Bus und Sibylle auf den Wanderparkplatz in Österreich. „Das ist aber doof. Hier kann man ja nur ein Parkticket für drei Tage lösen.“ „Na ja, der Wille war da. Wir wollten ja länger buchen. Die werden uns schon nicht abschleppen.“

Wir marschierten zu sechst Richtung Karwendelhaus los, bis Kristin merkte, dass sie ihre Brille noch aufhatte und diese noch zurück in den Bus bringen musste. In der Zeit zippte sich Sonja wieder ab, becks dehnte abermals ordentlich ihr Knie, Lari rieb sich noch mal mit Sonnencreme ein und ich suchte vermutlich wieder mal irgendwas. In dieser Zeit verschaffte sich Sibylle einen ordentlichen Vorsprung, hatte sie größte Bedenken die 5-stündige Wanderung bis zur Hütte noch bis vor Einbruch der Dunkelheit zu schaffen. Auch wir haderten mit der kalkulierten Zeit, kündigte die Mickey Maus bereits 13 Uhr und einen „schönen Mittag, Kumpel“, an. „Jetzt aber hurtig, wir müssen richtig Gas geben.“ An einer Abzweigung wählten wir den steileren Weg durch den Wald. „Egal, wir müssen jetzt richtig Meter machen.“ Sibylle war nicht mehr zu sehen. „Die läuft wahrscheinlich auf dem 201er Weg.“ wusste ich mitzuteilen. Es war wahrscheinlich das Einzige, was ich mir überhaupt so richtig von der Strecke gemerkt hatte. Nach dem steilen Aufstieg zog sich die breite, schottrige Waldautobahn entlang der Isar-Promenade wie Gummi. „Kein Wunder, das ist ja auch ein Mountainbike-Weg.“ „Leute, ich denk als, hier fehlt doch jemand.“ bemerkte becks. „Wo ist denn nur Sibylle. Ich vermisse sie jetzt schon.“ Sibylle war weit und breit nicht zu sehen. „Die ist bestimmt noch auf dem 201er Weg.“ Kein Mensch wusste wo dieser sein sollte. Aber es war definitiv die Nummer die Sybille genannt hatte. Unser Weg wurde stetig monotoner. Keine Abwechslung im Bewegungsablauf. Gift für die Beine. Zu allem Überdruss fing es an zu nieseln. Und dann zu schütten. Becks sprach schon seit einer Ewigkeit kein Wort mehr. Ihr Gesicht, ausdruckslos. Und dennoch lief sie schnurrstracks weiter. „Auf einer Skala von 1 – 10, wie schlimm ist der Schmerz?“ fragte ich vorsichtig. „11.“ Mehr bekam ich nicht zu hören. „Entweder ich lass mich gleich abholen oder ich gehe jetzt ohne Pause einfach bis zum Ende weiter.“ fügte sie nach einigen Minuten an. Kristin und ich standen unter immenser Bredouille. Von hinten wurde ein Pausenstopp von Sonja für Lari eingefordert und vorne wollte der Zug nicht stehen bleiben. Währenddessen Starkregen. „Lauf, lauf einfach weiter becks!“ waren meine letzten Worte als ich den ICE auf ihre Reise schickte. Der Rest der Wagons versuchte Lari weiter zu motivieren, deren Beine und Sauerstoffzufuhr ebenfalls streikten. Außerdem hatte Lari in falsches Anti-Regenmaterial investiert, das die Gesamtsituation ebenfalls verschärfte. Doch auch Lari biss auf die Zähne und in das Fleisch des diesjährigen zähen Elefanten. Nach 23 widerlichen Kilometern erreichten wir das Karwendelhaus, das mittlerweile in der Sonne erstrahlte. Auch becks hatte einen Hauch von Lächeln wieder im Gesicht und noch nicht das Abreisetaxi bestellt. „Ich zieh das jetzt durch. Komme was wolle!“

Wir fanden Sibylle auch nicht auf der Hütte und erkundigten uns besorgt beim Hüttenpersonal. „Sibylle? Ja, die hat heut Mittag schon angerufen, dass sie es nicht schafft. Die ist wohl nach Mittenwald umgekehrt.“ Schade. Aber dafür hatten wir jetzt Jens auf dem Zimmer. Telekom-Mitarbeiter aus Darmstadt, der 6 Wochen Pause von dem IT-Wahnsinn brauchte. „Alles Überstunden, aber lasst uns nicht von der Arbeit reden. 6 Wochen Berge und das hier ist schon ein Wahnsinns-Anfang.“ Jens war genauso cool wie Sybille. Absolut trockener und sympathischer Humor. Wir berichteten ihm von unserem Umweg und von den Strapazen und auch von becks Durchhaltevermögen, trotz der anstehenden OP. „Wie so’n altes Auto, noch mal so richtig runterfahren.“ lautete sein kurzer Kommentar.  Es wurde ein kurzweiliger Abend. IT-Studenten aus München und Umgebung gesellten sich zu uns an den Tisch und legten den Studi-Armuts-Dackelblick auf, um am nächsten Morgen einige Brotscheiben und Tagesproviant von uns abzugreifen. „Die verdienen bestimmt alle doppelt so viel wie wir.“ lachten wir. „Aber egal, die haben sich trotzdem schwer gefreut.“ 

 

Etappe 3 | Sonjas Tag

„Ich möchte heute drei Gipfel machen. Kommt schon, wer kommt mit mir?“ Sonja, hochmotiviert wie immer, blickte in müde Gesichter. Selbst Jens ließ sich nicht dazu hinreißen, den Hausgipfel an der Karwendelhütte, mitzuwandern. „Ok, dann haben wir ja noch die zwei Gipfel an unserer nächsten Hütte, die wir machen können.“ „Ja, da komme ich auf jeden Fall mit“ versprach ich, vermutlich etwas voreilig. Nicht nur Laris, sondern auch meine Waden, waren komplett dicht. Als ob ein schwerer Klotz daran hängen würde. „Diese ungeplante 23-Kilometer-Umweg-Route hat uns alle zerstört. Becks, die sich so viele Gipfel für die Tour vorgenommen hatte war vollends enttäuscht und hatte als einziges Ziel, die Bestehung der Gesamtroute, im Blick. Auch Kristin plagten schwere Fußbeschwerden, die sie schon seit den Julischen Alpen in Slowenien mit sich trug. Nur Küken Sonja trällerte weiterhin und unbeschwerlich ein „Warum bin ich so fröhlich, so fröhlich, so fröhlich, so fröhlich war ich nie!“ vor sich hin. Wir verabschiedeten uns von Jens, der in eine andere Richtung weiterzog, sich aber fest vorgenommen hatte beim ersten LTE-Signal den Hit „Der Zug hat keine Bremse“ herunterzuladen, welchen wir mehrfach im Zimmer angestimmt hatten, jedoch nicht mit den Gesamt-Lyrics dienen konnten. Ich glaube er wird uns nicht vergessen.

Auch wenn die 3. Etappe nur 3,5 Stunden andauerte, so reichte uns dies vollends aus. „Heute Abend wird Magnesium eingenommen und mit Arnika-Creme eingeschmiert!“ ordnete Sonja an. „Das kann doch wohl nicht sein, dass ihr alle nicht mehr laufen könnt.“ Wie verspochen ließ ich mich zu einem Gipfel an der Falkenhütte hinreißen, welcher von Sonja jedoch nur die Bezeichnung „Greifensteiner Hügel“ erhielt. „Wer den Hügel nicht ehrt, ist des Gipfels nicht wert.“ verabschiedete ich mich und entschied mich für einen Aperol Spritz auf der Hütte mit Lari und becks. Kristin ließ den Schmerz ihrer Füße hinter sich und begleitete Sonja auf den 2.093 Meter hohen Mahnkopf. Währenddessen checkten wir drei Hinterbliebenen in der neu restaurierten und optisch mehr als ansprechenden Falkenhütte ein. O-Ton becks „Das Bad ist ja schöner als daheim.“ Auch die Dusche konnte mit knapp 3 Minuten Warmwasser überzeugen und das 6-Bett Lagerzimmer hatten wir diesmal ganz für uns. Als i-Tüpfelchen lernten wir an diesem Abend, die mehr als schmackhafte Kaspresssuppe kennen. Ein Zirben-Likör rundete den Abend ab. „Schade, dass ich heute Morgen das Hochalmkreuz nicht machen konnte. Dem trauere ich immer noch ein bisschen nach.“ waren die Worte der immer fitten Sonja, kurz vorm Schlafen gehen.

 

Etappe 4 | Julis Tag

„Wow, was ein Sonnenaufgang. Und das mit Blick aus dem Badezimmer!“ Die ersten Videosequenzen an der wunderbaren Falkenhütte und dem ersten richtig schönen Sonnenaufgang während der Tour, stimmten mich fröhlich. Außerdem war, dank Magnesiumtablette, Arnika-Creme und einem Aufdehnprogramm, auch keine Blockade mehr in der Wade zu spüren. Ich fühlte, dass heute ein Gipfel machbar war, verriet es aber noch nicht. Die Route, bis zum Abstieg auf die Eng-Alm, war vermutlich, auch Dank des tollen Wetters, eine der schönsten bislang. In Eng musste dann eine Entscheidung über Weitergehen oder Abbruch der Tour gefällt werden. „Na toll, auch noch an meinem einzigen Spitzentag.“ bedauerte ich gedanklich. Aber es war vernünftig darüber nachzudenken ein Gewitter mit Starkregen am Abstiegstag in Kauf zu nehmen. Wir entschieden uns, entgegen der miserablen Prognosen sämtlicher Wetter-Apps, für ein Weitergehen. „Ich brech die Tour doch jetzt nicht mehr ab!“ protestierte selbst becks. Ehrgeiz. Hat se.
„Juli, was ist mit deinem Tempo los? Ich erkenn dich ja kaum wieder?!“ fragte mich Sonja erstaunt. Die Maschinen waren endlich angelaufen. Ich plädiere definitiv für mehr Einlaufzeit bei einer zukünftigen Tour. „Wir haben ja immer noch so viel Proviant.“ bemerkte Kristin an unserem Mittagspausenstopp. Es war bemerkenswert was die einzelnen Teilnehmerinnen immer wieder aus ihren Rucksäcken zauberten. Ob Mama Giselas Mirabellen von heimischen Bäumen oder Pfirsiche aus Sonjas Elterngarten, Spätmirabellen von Lari, Trailmixe, Müsliriegel, Äpfel, Brötchen, Käse, Wurst und Pfefferbeißer. Es war jeden Mittag ein Festmahl auf den Bergen. An der Lamsenjochhütte angekommen blickte ich rüber zu Sonja. „Und Sonja, machen wir noch den Gipfel?“ Wir entschieden uns zwar gegen die zu anspruchsvolle Lamsenspitze, dafür aber für den Hahnkampl auf 2.080 Meter, der uns ein wunderbares Panorama bot. Unterdessen wurden die drei anderen Teilnehmerinnen Zeuge eines sehr strengen und diktatorischen Hüttenregimes. Beim Einchecken forderte die Hüttenwirtin mit strafendem Blick alle Gäste auf das Gepäck nicht mit auf die Zimmer zu nehmen, sondern gefälligst alles im Trockenraum zu lassen. ALLES. Keiner wagte zu widersprechen. Nur über die Schmuggleroute konnten wichtige Dinge nach oben transferiert werden. Lari und becks wagten noch einmal die Hüttenwirtin auf Duschmarken anzusprechen. In ihrer bekannten, liebevollen Art und Stimme fragte Lari vorsichtig: „Darf man auch zwei Duschmarken haben? Also wegen meiner Haare und der Spülung?“ Die Hüttenwirtin antwortete mit eisiger Miene: „Man kann zwei Duschmarken haben. Aber man kann auch Wasser sparen.“ und händigte Lari mit strafendem Blick beide Marken aus. Das Karma folgte. Hatten becks und Kristin noch jeweils warmes Wasser, so wendete sich das Blatt für Lari direkt. Kalte Dusche. Die zweite Marke war erst gar nicht anzuwenden. „Das hat die doch gesehen, dass du jetzt duschst.“ schimpfte becks. „Die saß bestimmt unten am Mischpult und hat dir das Wasser kalt gedreht.“

Sonja und ich hatten Glück. Das Wasser war warm. Aber die Dusche, eher gesagt die Duschmatte, unterirdisch eklig. „Lieber eine schlechte warme Dusche, als keine Dusche.“ vollendete Sonja die Weisheit des Tages. Währenddessen hatte sich eine junge Berlinerin im Bad eingefunden, die sich lauthals über nicht vorhandene Haken in den Zimmern beschwerte. Sie klärte uns auch gleichzeitig über das Handtuchhalterprinzip an den Waschbecken auf. „Das ist eine total schlechte und völlig veraltete Erfindung aus Berlin! Die Handtücher werden quasi in dieses unhygienische Teil aufgesogen.“ Wir schüttelten ungläubig mit dem Kopf. Wo waren wir hier gelandet?

Das Abendessen und die freundliche Bedienung sollten uns zum Glück noch einmal wohlwollend im Gesamturteil umstimmen. „Man darf auch nicht nur meckern. Immerhin sitzen wir im Trockenen.“ Und dann fing es draußen wieder an zu schütten. „Meine App sagt aktuell 3 Liter für morgen und Nieselregen an.“ informierte uns becks, die als O2-Kundin als einzige Empfang und es außerdem gewagt hatte bei der Hüttenwirtin nach einem Eisbeutel für ihr Knie zu fragen. „Ihr werdet es nicht glauben, sie hat sogar am Ende ein wenig den Mundwinkel zu einem Mini-Lächeln geformt. Ich glaube wir sind jetzt Freunde.“ In der Nacht regnete es. Und am Morgen regnete es. Draußen war nur Nebel zu sehen. „Oh jetzt schreibt die App, dass wir 11 Liter haben. Wie unglücklich.“

 

5. Etappe | Laris Tag

Als wir es zum ersten Mal während des ganzen Trips schafften bereits um 7 Uhr zu frühstücken, klarte gegen 7:30 Uhr der Himmel auf. „Okay Leute, das Zeitfenster ist angebrochen. Wir müssen JETZT los.“ kündigte Kristin an. „4 Stunden Abstieg bis nach Schwaz. Wir haben einen Zug zu kriegen.“ Lari schwing die Hufe und gab das Tempo fortan an. In einer nie dagewesenen Geschwindigkeit petzten wir den Berg hinunter. Die Angst, doch noch in Starkregen oder Gewitter zu geraten war allgegenwärtig. Lari drehte sich immer wieder verwundert zu Seite und zurück. „Ich bin heute so fit wie nie. Ich könnte heute wirklich einen Gipfel machen.“ Trotz, dass wir kurzzeitig einen falschen Weg eingeschlagen hatten, erreichten wir Schwaz eine Stunde früher als geplant. „Das schreit ja nach einer Belohnung.“ und becks lud uns alle zu einem Leberkäsebrötchen und Coffe-to-go ein, bevor wir in den äußerst modernen Regionalzug der österreichischen Bundesbahn mit free-Wifi stiegen. Eine halbe Stunde bis nach Innsbruck und dann noch mal eine Stunde um bis nach Scharnitz zu gelangen. Als wir ausstiegen, setzte der Regen erneut ein. „Kommt schnell, es sind nur 10 Minuten bis zum Wanderparkplatz“. Noch einmal spurteten wir mit unseren letzten Kraftreserven los. „Was hängt denn da vorne in der Windschutzscheibe?“ fragte ich ungläubig, hatte ich am Abend zuvor noch gegen einen Strafzettel getippt. „Wieviel sind es?“ wollte Kristin wissen, lagen sie und Lari richtig, hatten aber auf unterschiedliche Beträge getippt. „25€ - Schnapper!“ -  Man gönnt sich ja sonst nichts.

Eine weitere, wundervolle Hüttenwanderung geht zu Ende. Es war mal wieder ein Highlight und wie immer ein unvergessliches Erlebnis in den Bergen. Jeder Meter, jede Anstrengung, jeder Schweißtropfen und jeder Schmerz war diese Wanderung wert. Da oben ist die Welt ein bisschen anders. Einfacher. Befreiter. Sorglos.

Erst wenn ich wieder absteige, spüre ich das Gewicht der Welt auf mir.
- Anatoli Bukrejew.



















Blöd in Bled

Die Unterkunft in Bled war keineswegs blöd. Die Ferienwohnung, erbaut in den 70ern, bot nicht nur jede Menge Platz, einen Balkon und ruhige Lage, sondern auch noch einen kurzen Gehweg zum See. Man wusste zwar kurzzeitig nicht, ob man am slowenischen Ballermann oder im Familiensommerurlaub mit  Massentourismus-Abfertigung gelandet war, doch bot der See ein einmaliges, wunderschönes Panorama mit kristallklarem, fast karibikblauen Wasser und einer kleinen Insel mitten drauf. Zwischen Staunen und Faszination für dieses zwar laute, aber dennoch idyllische Ambiente, sprangen wir in den See und schwammen Richtung Insel. „Hier im Wasser geht’s eigentlich.“ „Der Bär steppt wohl nur an der Promenade.“


Auf der gegenüberliegenden Seite des Sees bot sich dann wiederum ein ganz anderer Anblick. „Ich fühle mich hier irgendwie zwischen Luftkurort und Hippie-Festival.“ stellte Petra fest, als sie genüsslich in den Mega-Burger (kulinarischer Tipp von Resi) biss und wir den E-Gitarren-Klängen eines slowenischen Motörheads Verschnitts lauschten. Der Slowene schlug in die Gitarrenseiten und stimmte, mit verrauchter Whiskey-Stimme zu slowenischen Metalhits an. Das Publikum, bunt gemischt wie nie, schaute dem Spektakel auf der Hippie-Wiese gespannt zu. „Komme mir hier vor wie beim European Outdoor Festival. Hier ist ja jede Nation von Alt bis Jung vertreten. Schon ein bisschen cool irgendwie.“ 


Als wir schon voreilig das Soča-Valley zu unserem Highlight der Tour benennen wollten, überraschte uns an den letzten Tagen unserer Reise ein noch viel tollerer Ort als Bled. „Also, wenn wir noch mal hierher kommen sollten, dann buchen wir uns direkt in Bohinj ein.“ wiederholte sich Kristin mehrfach, die von diesem Ort, der Landschaft und dem
See - wie wir alle - völlig geflasht war. Kristin hatte, wie schon die ganze Tour über, Aktivitäten, Routen und Sehenswürdigkeiten akribisch recherchiert, geplant und konnte uns jeden Tag aufs Neue mehrere Optionen präsentieren. Hierbei sprang auch die zwar anstrengende, aber dafür malerisch unübertreffliche Wanderung, durch die Julischen Alpen und geheimer Route zum Viševnik, mit Blick auf den höchsten Berg Sloweniens, den Triglav, hinaus. Als Belohnung winkte außerdem ein Sprung in den optisch mehr als ansprechenden und deutlich weniger touristischen Bohinj-See. „Hier fahren wir morgen noch mal hin.“


Selbst Karin ließ sich, mit dieser grandiosen Werbung, nochmals zu einer Wanderung hinreißen, hatte sie in Bled mittlerweile alle Kunstzentren und Galerien abgegrast und die komplette slowenische Kunstszene in und auswendig gelernt. „Was für mich die Kunst ist, sind für dich die Berge.“ erklärte Karin Kristin ihre Faszination. „Aber auch ich kann mich für die Natur begeistern.“ So zogen wir am darauffolgenden Tag durch den Triglav Nationalpark und erkundeten grandiose Wasserfälle und das Stillleben der Natur. „15€ Parkgebühren für 4 Stunden! - Das ist ja wohl die Höhe!“ reklamierten wir und entschieden uns beim nächsten Stopp, am Bohinj-See, einfach auf der Seite zu parken, anstatt abermals den Rachen der Parkautomaten zu füllen. 


Frohen Mutes spazierten wir zum Paddel-Verleih und investierten unser gespartes Geld in ein SUP (zu deutsch: Stehpaddel-Brett). Mit leuchteten Augen entdeckten wir diese neuartige Form der Fortbewegung für uns. „Das Teil ist ja der Hammer! Ich möchte so was für zu Hause.“ schwärmte ich ununterbrochen. Auch nachdem ich, bei zu viel Übermut und einem riskanten Wendemanöver, kenterte. Schweren Herzens brachten wir das Board am Abend zurück und kehrten noch auf eine Mahlzeit am See ein, bis wir wieder Richtung Auto schritten. „Was hängt denn da neben an dem Fenster?“ wollte Kristin wissen, als ich den roten Zettel aus der selbstklebenden Folie zog. „DELIKTBESCHEID.“ prangerte es in Großbuchstaben vor unseren Augen. „Überweisen Sie 200 €! Für Ihre bescheuerte Falschparkerei!„ Ich kontaktierte umgehend unsere Fachabteilung ‚Stroh & Partner‘, doch auch geballte Expertise von Magdi konnte uns vorerst nicht retten. Immerhin lenkte die slowenische Verkehrswacht mit einem Special-Frühbucherrabatt ein. „Wenn Sie innerhalb der nächsten 8 Tage überweisen, reduziert sich die Strafgebühr um 50%.“ Na super, von dem Geld hätten wir ein neuwertiges SUP kaufen können!“ 


Trotz der letzten großen und vor allem unnötigen Abschlagsrechnung, blieben wir uns einig, dass diese Reise jeden Cent wert war. Jeder Ort, jede Landschaft und jeder Gastgeber hatte auf seine Weise überzeugt und den Trip zu einem unvergesslichen Erlebnis, durch den exotischen Osten Mitteleuropas, gemacht. „Hier schlummern definitiv weitere Highlights und unbekannte Naturschönheiten. In jedem Fall ist Slowenien jede Reise wert und sollte erkundet werden.“ We like. sLOVEnia.


Wir leben auf einem Blauen Planeten

Der sich um einen Feuerball dreht

Mit 'nem Mond der die Meere bewegt

Und du glaubst nicht an Wunder

Und du glaubst nicht an Wunder

Und ein Schmetterling schlägt seine Flügel

Die ganze Erdkugel bebt

Wir haben überlebt

Und du glaubst nicht an Wunder

Und du glaubst nicht an Wunder

- Materia 

















SLOWenia

„Auferstanden aus Ruinen

Und der Zukunft zugewandt…

…Alle Welt sehnt sich nach Frieden

Reicht den Völkern eure Hand…

…Laßt das Licht des Friedens scheinen

Daß nie eine Mutter mehr

Ihren Sohn beweint

Ihren Sohn beweint.“


Triumphalisch betraten Karin und Petra ihr Zimmer, welches sie in eine Zeit des sowjetischen Kommunismus aus kitschigem Prunk und Nostalgie zurückversetzte. Verschnörkelte Betten und Nachttischränke, stehengeblieben Uhren, prunkvolle Kronleuchter und Keramiköfen der Marke Slavenova (volkseigener Betrieb natürlich). Sentimental betrachteten die beiden Damen, deren Wurzeln in Ostdeutschland und dem Sudetenland zu finden sind, die Relikte der Vila Teslova, unserer B&B Unterkunft in Ljubljana, welche auch Anbieter für Zeitreisen in das Land „Frieden und Sozialismus allzeit bereit“ ist. Eine ausdrucksstärkere Unterkunft hätten wir nicht wählen können.


Ljubljana, das ist eine besondere Hauptstadt. Würde man den gesamten Dillkreis zusammenlegen, 2 Zara’s, 3 katholische Kathedralen, 4 Kunstmuseen und 5 Hipster-Cafés hinzupflanzen und diesen neu erschaffenen Ort zur Hauptstadt Deutschlands erklären, so könnte man sich die slowenische Metropole am besten vorstellen. Eine fast unheimliche Ruhe, eine dörfliche Vorstadt mit Komposthaufen und grünen Gärten, wenig Autos und Motorroller, dafür eine durchgängige, zweispurige Fuß- und Radfahrerzone im gesamten Stadtgebiet. „Nicht umsonst wird Ljubljana die Fahrrad-freundlichste Stadt Europas genannt.“ bemerkte Kristin, als wir uns drei schicke Fahrräder mit Front-Korb ausliehen. Karin wollte an diesem Tag die Erinnerungen einer ehemaligen Sowjetstadt ganz für sich aufsaugen, während Petra, Kristin und ich, im Slow-Motion-Modus, den Ort auf dem Drahtesel erkundeten. 


„Ich glaube ich bin noch nie so langsam Fahrrad gefahren.“ wiederholte sich Kristin, während Petra und ich die Geschwindigkeit der Fortbewegung geradezu feierten. Seit Ankunft in Ljubljana hatten wir allesamt mit starker Müdigkeit zu kämpfen und wechselten uns im permanenten Gähnmodus rotierend ab. „Reisen ist auch anstehend. Auch das darf man nicht unterschätzen.“ warf ich ein, als plötzlich ein blauer Kleinwagen mit silberner Dose an uns vorbeizog. „Da ist er ja wieder, der Red-Bull-Wagen!“ „Der kommt ja wie gerufen!“ Die zwei Red-Bull-Girls reichten uns freudestrahlend drei Dosen rüber. „Eigentlich trinke ich dieses eklige Zeug gar nicht.“ stellte Petra fest. „Aber heute ist es meine Rettung.“ 


Eigentlich wollten wir uns, die von Trip-Advisor empfohlene, kommunistische Tour in Ljubljana anschauen, entschieden uns aber dann doch für den Kapitalismus und konsumierten anstattdessen leckerste orientalische Küche, in Form eines Falafel-Snacks. Auf diese Weise lernten wir auch die Italienerin Teresa kennen, die mit uns am Tisch saß und mit Couchsurfing durch Slowenien reiste. Scheinbar ist auch dieser Reisemodus nach wie vor möglich, den ich nur aus Backpackerzeiten kannte. 


„Heute Abend spielt noch mal Lang Lang.“ kam Karin mit leuchtenden und freudestrahlenden Augen auf uns zu, hatte sie bereits gestern der klassischen Musik, unter Direktion von Daniel Baenboim, gelauscht. Die drei Musikexperten tauschten sich erregt über die zu spielenden Arrangements aus, während ich, in meiner kompletten Unwissenheit, daneben statt, hatte ich keinen der genannten Künstler jemals wahrgenommen, geschweige denn davon gehört. „Vielleicht komm ich mal mit um mich weiterzubilden.“ Doch da war der Gedanke auch schon wieder niedergeschlagen, hatte das Klassik-Trio bereits entschieden, dass die heutigen, zu spielenden Stücke, zu einschläfernd waren. „Außerdem sind die Tickets jetzt auch ausverkauft.“ bestätigte Karin enttäuscht. Schade, ich hätte gerne guten Willen gezeigt und mich musikalisch weitergebildet. Anstatt dessen kehrten wir in das nahegelegene „Sax Pub“ mit Jazz-Musikeinlagen ein und gönnten uns ein abschließendes, hopfiges Endgetränk. 


„Wie bedauerlich, jetzt sind wir auch schon mit dieser Etappe fertig.“ Obwohl sich Reisen insgesamt lange anfühlt, vergehen die Tage gleichzeitig wie im Fluge. „Unsere letzte Station ist Bled. Hoffentlich ist die Unterkunft nicht allzu blöd.“











Die Entdeckung der Langsamkeit

„Ich habe immer noch keine Briefmarken.“, bemängelte ich. „Und Kunas wechseln die mir hier auch nicht.“ „Es wird wirklich Zeit, dass Kroatien nächstes Jahr in die Euro-Währung einsteigt.“ „Wahrscheinlich hat sich das gesamte Strandgewerbe von Medvinja dafür stark gemacht und den Euro eingefordert.“ Anders war es gar nicht zu erklären, dass man von jedem Geschäftetreibenden nur ein unzufriedenes „Nein, ich habe keine 2-Kuna Münzen.“ und „Man hat mir verboten hier das Wechselbüro zu spielen.“, erhielt. Aber irgendwie mussten ja die die Badegäste zu dem Münzgeld kommen, denn das Toilettenhäuschen war weder mit Apple Pay, Kreditkarte, Euros, Dollar, Rubel noch Paypal zu öffnen. Nicht einmal ein 5-Kuna Stück akzeptierte der althergebrachte Münzautomat. „Das ist hier wirklich ein großes Problem.“ erklärte mir der Händler für felsiges Wasserschuhwerk, als er mir die Neoprenlatschen über den Tresen reichte. „Wir warten alle so sehnsüchtig auf den Tag, an dem wir den Euro erhalten.“ Und das alles wegen dieses Toilettenhäuschens am Strand.


„Herrlich! Können wir einfach den Rest der Reise hier in Opatija bleiben?“ fragte Karin, als sie sich von der einen auf die andere Seite der Liege fläzte. Auch mir sagte der Strand- und Meeresmodus von Tag zu Tag mehr zu. „Schwimmen, das ist genau mein Tempo. Endlich mal eine Sportart in der man in Zeitlupe schnell sein kann.“ „Wahrscheinlich auch die einzige Sportart, bei der man nicht schwitzt.“ „Und kostenloses Sandwasser-Peeling erhält die Haut auch zugleich.“ Die Vorteile waren schnell zusammen getragen. Ein Strandurlaub erlaubt außerdem die Jahresration an Büchern zu konsumieren und zwischendurch ein Nickerchen zu machen. „Jetzt trinke ich noch einen Kaffee und beobachte Leute.“ Karin erhob sich zu ihrer Lieblingsdisziplin und schritt Richtung Kaffeetresen. „Please drink the coffee before it gets cold.“, rief ich ihr hinterher und blätterte, in meinem japanischen Bestselleroman aus Herborns Bücherecke, die nächste Seite um. Und das wäre dann auch schon mein Buchtipp für heute. 


„Ich bin ja völlig überwältigt. Wow!“ „Was für eine aufregende Stadt.“ Wir hatten gerade leckersten Seebarsch, gefüllt mit Pesto und Garnelen, gebettet auf Hummus und gegrillter Zucchini, im Roko, eine Restaurantempfehlung von Hausmutter Eva, verspeist und schritten nun den Boulevard des Balkans entlang. Gitarrenklänge von „Here comes the sun“ und „Simon & Garfunkel“ begleiteten uns, bis wir die kroatische Version von „Let‘s Dance“ auf einer kleinen Tanzfläche beobachten konnten. Ein Spektakel nach dem anderen offenbarte sich vor uns. Wir kamen aus dem Staunen nicht mehr heraus. „Da hinten spielt das Queen-Tribute!“ und „Schaut mal hier, was für ein schöner Garten.“ „Was sind das denn für tolle Lichter.“ „In die Bar möchte ich aber auch mal.“ Der Abend wollte nie enden.


„Jetzt gehen wir aber mal zurück, nicht dass wir schon wieder einen Strafzettel erhalten!“ sprach Kristin und entging fast zeitgleich einem Zusammenstoß mit einer Schranke, die just in dem Moment von oben auf sie einsteuerte. Uns blieb der Atem weg. „Was ist, kommt ihr jetzt?“ fragte Kristin, die nur noch den Windhauch der Vorrichtung an ihrem Kopf spürte. „Ach du scheiße. Das war knapp.“ Wir wussten nicht ob wir lachen oder ein Dankgebet zum Himmel aussprechen sollten. „Das war ja genauso knapp wie bei dir gestern Karin. Als dich das Elektroauto beinahe über den Haufen gefahren hätte.“ Ich würde sagen, wir waren lucky mushrooms again.


Auf dem Frühstückstisch entdeckte jeder von uns ein violettes Säckchen mit getrocknetem Lavendel. Außerdem Datteln, frisch gepflückte Mirabellen, Äpfel und Radieschen. „Das hier ist keine 5-Sterne Beherbergung, das hier ist unbezahlbar.“ stimmten wir in großer Dankbarkeit überein. Hausmutter Eva brachte uns die noch brutzelten Spiegeleier in den gekühlten Frühstücksraum und servierte, wie jeden Morgen, mit einem herzlichen Lächeln. „Meine Tochter hat meinem Autoschlüssel versehentlich mit nach Österreich genommen. Deshalb kann ich dir heute nur Hagebuttentee servieren, Kristin.“ lachte Eva. „Ich sitze im Moment hier oben fest.“ „Wir können dich doch nachher mit runter in die Stadt nehmen?“ schlugen wir vor. „Na na, i mogs hier oben. I hoab doch hier alles was i brauch.“


Wir bedankten uns abermals bei Eva und verabschiedeten uns schweren Herzens. „Wir werden dich weiterempfehlen und wir hoffen eines Tages zurückzukehren.“ „Das würde mich sehr freuen. Und es war auch für mich schön euch kennenzulernen.“ 


Wir waren jetzt in diesem tollen Hostel in Bovec, das so tiefenentspannt, freundlich und geerdet war, das wir gerne geblieben wären. Nun würden wir am liebsten auf diesem Hügel und diesem Herzens-Apartment mit Meerblick und Sonnenaufgangs-Kino in Kroatien bleiben. Wo werden wir bloß in Ljubljana, der Haupstadt Sloweniens, landen?















It‘s the end of the world as we know it.

„Ich dachte, hier oben gäbe es noch ein zweites Meer.“ „Bei Google sah das aber näher dran aus.“ „Also, hier oben kann man ja über ganz Kroatien schauen.“ „Die Straßenführung ist hier aber auch nichts für Fahranfänger.“ 


Eine Mischung aus Staunen, Beeindruckung und höchstem Respekt vor den steilen Serpentinen führten uns hinauf zu unserer nächsten Unterkunft „Panorama House“ oder aber auch „House with a view“. „Wahnsinn!“ Wir kamen aus dem Staunen nicht mehr heraus. Auf 400 Meter Höhe bekamen wir nicht nur einen atemberaubenden Blick auf das Meer geboten, sondern durften auch noch Gast bei Hausmutter „Eva“ sein, die uns herzlichst empfing, unterhielt und umsorgte. Die in Österreich lebende, aber gebürtige Kroatin, führte uns durch die modern eingerichteten Zimmer und lud uns anschließend in ihren fein säuberlich angelegten Garten auf frisches Minzwasser und österreichisches Bier ein. Es war wie im Urlaub. „Ihr müsst doch nicht die Sachen von Hand waschen. Gebst‘ mir eure Wäsche doch einfach, i moach des.“ Wir fühlten uns wie die Prinzessinnen von Bel Air.


Eva versorgte uns nicht nur mit wertvollen Insidertipps zu den besten Stränden und Restaurants in Opatija, sondern unterrichtete uns auch noch über die Geschichte Kroatiens. „Ja, das war damals ganz dramatisch.“, fing sie nach Worten suchend an. „Stellt euch vor, ihr habt 20 Minuten um euer Leben in einen Koffer zu packen und dann ins Ungewisse zu fliehen.“ Wir schluckten. „Ich selbst hatte Glück, aber meine Mutter und Oma, die mussten fliehen.“ Um was es in dem Krieg genau ging, wollte Kristin wissen. Eva überlegte. „Ich bin keine Geschichtslehrerin, ich weiß es eigentlich selbst nicht so genau. Eigentlich wurde, nach demokratischer Volksabstimmung, die Unabhängigkeit Kroatiens in 1991 erklärt.“ Was in Slowenien der 10-Tage Krieg war, entwickelte sich in Kroatien jedoch zu einem 4-jährigen, blutigen Konflikt mit dem ehemaligen Staaten Jugoslawiens. „Familien wurden auseinander gerissen. Mütter haben ihre Kinder nicht mehr gefunden. Ganze Familien wurden ausgelöscht.“ Eva rang mit ihren Worten. „Ich kann die Leute in der Ukraine verstehen. Das ist schlimm. Das ist, als wenn dich jemand in der Mitte durchschneidet. Du kannst wieder genäht werden, aber ein Teil von dir fehlt.“ 

„Und trotzdem kommt ihr alle einigermaßen wieder miteinander klar? Also mit den Serben usw.?“ „Ja, natürlich, die wollten das doch auch nicht. Ich habe beste Schulfreundinnen aus Serbien.“ 


Wir brauchten einen Moment um die Worte zu verarbeiten. „Bringt’s mir doch bitte eure Wäsche und dann macht euch auf zum Strand. Genießt den schönen Nachmittag.“ Herbergsmutter Eva wusste uns wieder aufzumuntern. So fuhr Kristin präzise und ohne jegliche, anzusehende Angstschweißperlen die Serpentinen wieder hinab und wir fläzten uns an den kleinsten Stadtrand der Welt, den wir an diesem Tag noch erreichen konnten. „Wie, hier gibt’s keinen Sandstrand?“ entsetzt schauten Karin und ich uns an. „Natürlich nicht, hier gibt’s nur Fels und Beton, deshalb ist das Wasser doch so blau.“, unterrichteten uns Petra und Kristin, die entsprechendes Wasserschuhwerk mitgebracht hatten. Der Fail lag mal wieder bei uns. 


„Guten Morgen, meine Lieben! Hier ist eure frische Wäsche. Hab noch ein Wäschetuch dazu gelegt, damit nichts verfärbt.“ Eva war unsere Heldin der Woche. „Und hier ist Frühstück!“ präsentierte sie das groß angerichtete Mahl mit Spiegeleiern, frischem Obst und Allerlei. Wir wussten unserer Dankbarkeit kaum noch Ausdruck zu verleihen.


Am frühen Vormittag fuhren wir den Strand „Medjeva Beach“ an und sicherten uns Liegestuhlplätze mit Sonnenschirmen, bevor der große Run des kroatischen Feiertags, den wir selbstverständlich nicht auf dem Schirm hatten, einströmte. „Herrlich!“ Ich wusste nicht, wann ich zuletzt einen ganzen Tag am Meer - und dann auch noch an einem warmen - verbracht hatte. „Das ist ja ein Träumchen!“ 


Getoppt wurde dieser Traum nur noch vom abendlichen Flair auf der Franz-Josef-Promenade im kroatischen Monte Carlo. „Wussten wir damals eigentlich, wo wir hingebucht hatten?“ „Nein, keine Ahnung. Ich weiß ja bis jetzt nicht mal so richtig wie dieser Ort eigentlich heißt.“ „Mal wieder alles richtig gemacht.“ „Wie immer, oder?“ Blauäugig in die Ferne schweifen. Jeder kann was. 


Wir ließen uns die Fischplatte für 3 Personen munden und genossen das abendlich Treiben am Meer. Kleine Fischerboote und Yachten, die im Hafen beruhigend hin und her schwappten, eine sommerliche Brise Wind, der Geruch von Salzwasser und Meer und ein kleines idyllische Lichtermeer. „Hast du jetzt wirklich für Frankfurt getippt?“ fragte mich Kristin, als wir im Liveticker die erste Bundesligapartie Frankfurt gegen Bayern verfolgten. „Na klar, die haben doch jetzt den Götze. Da muss doch was gehen.“ „Außerdem steht doch der Trapp im Tor, wie können die denn so schlimm hinten liegen?“ „Ich finde, die sollten den Kahn wieder holen.“ warf Karin mit einem letzten qualifizierten Kommentar ein. 


Eigentlich war alles wie immer und doch so anders. „Schön hier. Hier bleiben wir die nächsten hundert Jahre.“ „Zumindest in den Wintermonaten.“ 











Soča rocks!

„Vorher war ich IT-Broker, aber der Computer hat meinen Kopf kaputt gemacht.“ sprach Peter, als er mich anzippte. „Der Job hier hat mich wieder runtergebracht.“ „Oh cool, aber das wäre nichts für mich, zu viel Höhenangst.“ erwiderte ich, mit zitternden Knien. „Ach, die hab ich auch, sogar riesengroße. Kann keine Brücke hinunter schauen.“ Erstaunt und erschrocken zugleich sah ich Peter an. „Jetzt halt dich gut fest und vergess unten nicht zu bremsen.“ 


An Tag drei trennte sich erstmals die Spreu vom Weizen. Während es Petra und Karin zum

Yoga mit 180 Grad Bergpanorama zog, stellten sich Kristin und ich der etwas höher angelegten Bergchallenge „Zip-Lining“, bei der es zunächst galt mit einem Jeep, über kurvige Schotterpisten, den Startpunkt auf 2.000 Meter Höhe zu erreichen. Zwar hatte ich Zip-Lining schon zweimal zuvor gemacht, doch schlotterten mir auch diesmal die Knie. „Für was macht man so etwas überhaupt?“ fragte ich mich abermals, als uns die Slowenen instruierten und eintrichterten weder zu früh, noch zu spät zu abzubremsen. Wir zipten uns von Wipfel zu Wipfel und zischten vorbei an Tannen und Fichten. Runter schaute ich erst gar nicht. Schlimm war’s wirklich nicht. Aber zur Wohlfühlzone werde ich den Höhenmodus auch niemals benennen.„Hätte ruhig noch schneller sein können.“ resümierte Kristin. Für mich hat’s gereicht. 


„Ich kann schon verstehen, dass die Leute Bovec nicht mehr verlassen wollen.“ sprach Karin, tiefenentspannt am Bartresen sitzend, an dem sie täglich ihre Kaffeespezalität einnahm. „Nichts an diesem Ort treibt einen fort.“ Und wir hörten von Lindsay, der amerikanischen Yoga-Lehrerin, die seit 5 Jahren hier wohnt und nur nach Montana fliegt, um ihre Familie zu besuchen. „Mal schauen, vielleicht komme ich am Donnerstag auch mal mit zum Yoga.“ Was Höhe aus einem macht. 


Am Nachmittag erkundeten wir den Berg Mangant und genossen die Aussicht über das Soča-Valley. Auf dem Serpentinen-reichen Pass entdeckten wir außerdem das Fort Kluze, das mit einem kurzen Gedicht die Geschichte der Menschheit beschreibt:

„One of them built and the other destroyed,

One of them built and the other destroyed…

… forever and ever?“ 


Wir erfuhren außerdem über den 10-Tage Krieg in Slowenien, der 1991, nach Unterzeichnung der Unabhängigkeit des Landes, geführt wurde. Er war gleichzeitig Beginn der langjährigen, kriegerischen Auseinandersetzungen im ehemaligen Jugoslawien, auf die wir auch später, weiter südlich in unserem Reiseverlauf, noch einmal stoßen sollten.


„Was für eine schlechte Beschilderung hier in Slowenien.“ reklamierte Kristin abermals, als wir am nächsten Tag den Kamin bewandern wollten. Eine knapp einstündige Gondelfahrt brachte uns auf 2.587 m Höhe, von der eine „easy“ Einsteigerrunde entlang des Felsmassivs führen sollte. Karin verfluchte uns innerlich für die ungeplanten Kletterpartien, die sich als falsche Wegführung herausstellen sollten. „Okay, Petra und ich gehen jetzt den blauen Weg und ihr könnt noch mal hoch zum Gipfel.“ beschloss sie entschieden. Und so kraxelten Kristin und ich den Fels hinauf, nur um abermals vom Weg abzukommen und unfreiwillig einen nicht vorhandenen Klettersteig aufzunehmen. „Da oben sind Leute.“ freute sich Kristin, als sie den richtigen Weg wieder gefunden hatte. Erleichtert kraxelte ich hinterher. Zu viel für meine armen Nerven. Auch der belgischen Familie und weiteren Gipfelankömmlinge spürte man eine leichte Nervosität an. „Was an diesem Weg war jetzt easy?“ 


Zu Mittag gönnten wir uns alle vier leckerstes „Juta“, eine Bohnensuppe mit Speck auf der Hütte des Kamins. „Es war eine kluge Entscheidung hier oben wandern zu gehen. Unten im Tal steht die Hitze bei 32 Grad.“ „Da schreit es doch nach einer Erfrischung im Soča!“ „Bestimmt hat auch sonst gar niemand diese tolle Idee.“ Wir gondelten den Berg hinab und fuhren zum place-to-be. „Herrlich!“ 


Am folgenden Morgen und Abreisetag, rafften wir uns tatsächlich um 8 Uhr in der Früh zur Yoga-Session auf. Anders als gedacht, hatte dieser Modus viel mehr mit Anstrengung zu tun. Lindsay forderte alles von uns ab. „Ich mache eher so sportliches Yoga, für Wanderer und Kletterer.“ Ein Krampf im Oberschenkel sagte mir zugleich, dass noch viel Luft nach oben war. „Eine tolle Erfahrung, vielleicht kommen wir noch mal wieder. Aber vielleicht finden wir unsere innere Mitte ja auch in Kroatien.“ Und mit diesen Worten starteten wir in Richtung Adria.