Der Zug hat keine Bremse

 Wenn man die Berge liebt, akzeptiert man auch, dass sie die Bedingungen stellen.
- Jean-Christophe Lafaille

„Victory is a girl.” prangerte es mit großen Lettern auf dem soeben käuflich erworbenen T-Shirt der Marke Adidas, welches mir becks, mit strahlenden Augen, beim Verlassen des Outletshops, präsentierte. „Das ist voll meins.“ Gedanklich hatte unser Hüttenküken das T-Shirt bereits für die erste große Gipfelbesteigung übergestreift und sah sich damit das Gipfelkreuz erklimmen. „Wir müssen jetzt erst mal in Mittenwald ankommen.“ holte ich sie zurück auf den Boden. Der ungeplante Outlet-Zwischenstopp hatte zwar die Äuglein unserer Fitnessqueens Sonja & becks zum Leuchten gebracht und die Kassen des Sportgiganten in Herzogenaurach gefüllt, uns jedoch um eine ganze Stunde in Verzug gebracht. Gegen 14 Uhr erreichten wir, bei stabiler Wetterlage, Mittenwald. Wiederholungstäterin Lari, Hüttenküken becks und die drei Konstanten Kristin, Sonja und ich starrten dem majestätischen Karwendelgebirge entgegen. „Gegen 17 Uhr soll es regnen. Und gewittern. Nichts wie los!“


1. Etappe | Kristins Tag

Akribisch und mit jeder Menge Bonusmaterial, sowie Alternativrouten, hatte Kristin die diesjährige 5-tägige Hüttenwanderung geplant und mit Komoot digital in Szene gesetzt. Der Rest der Truppe hatte nur abgewinkt, sich aber weder richtig eingelesen, noch die Details der Karte studiert. So war es auch nicht verwunderlich, dass wir uns geschlossen für die vermeintliche Luxusoption „Auffahrt mit der Karwendelbahn.“ entschieden, dabei jedoch nicht beachteten, anschließend einige Höhenmeter wieder nach unten zu marschieren, was zum Einlaufen, im Nachgang betrachtet, doch völlig sinnfrei ist. „Ach, das ist also der schöne Panoramaweg.“ beäugte Kristin die nebelverhangene Route kritisch, die im Prospekt deutlich attraktiver aussah. „Es ist wie immer, bei schönem Wetter sieht alles besser aus.“ Und so arbeiteten wir uns durch die dramatisch, vernebelten Felswende des Gebirges, bis wir den Predigtstuhl auf 1.921 m erreichten. Es nieselte. Die Steine wurden glatt. Schafe blickten uns ungläubig an. „Und da wollt ihr weitermarschieren?“ schienen sie uns bezweifelnd zu fragen. Das nasse Drahtseil, was am Felsen befestigt war, sollte mehr zur Beunruhigung als zur Sicherheit beitragen. „Das ist hier gar nicht mal so ohne mit den glatten Steinen.“ bemerkte Sonja höchst verunsichert. Kristin und becks übernahmen die Vorhut und hangelten sich mit schwerem Gepäck die Felswand hinunter. Lari und ich beäugten die Situation kritisch. „Wenn selbst unsere zwei Kletterprofis ins Schwitzen kommen, möchte ich mir gar nicht ausmalen wie wir da gleich mittendrin hängen.“ „Wo war eigentlich noch mal der Notausgang?!“. Als Sonja gefühlt minutenlang in einer Passage festhing und der Regen immer stärker wurde, entschied ich mich zur Not das Gepäck abzuwerfen und gezielt herunterzuspringen. Definitiv besser als abzurutschen. Doch dank guter Moderation von Kristin, die von unten Anweisungen gab, wo der nächste Schritt hinzusetzen war, gelang, nach einer gefühlten Ewigkeit, endlich die Felsbezwingung. Erst später auf der Hütte lasen wir auf der Wanderkarte: „Nur für Geübte. Ausrufezeichen. Ausrufezeichen. Ausrufezeichen.“ Und vermutlich erst gar nicht bei Regen. Wie wir noch viel später von einer Rettungsaktion zwei anderer Wanderer erfuhren.

Die Hochlandhütte war einfach. Nicht befahrbar und daher nur durch Helikopteranlieferung, dreimal im Jahr, versorgt. „Wenn es letzte Woche nicht geregnet hätte, hätte ich schließen müssen.“ teilte uns der Hüttenwirt mit. Keine Dusche. Kein Strom für Gäste. Aber eine warme Erbsensuppe und ein Heuschnaps. Und dann war da noch Sibylle aus Frankfurt-Bornheim, unsere Zimmermitbewohnerin. Mit einer unvergleichlichen Art unterhielt sie uns an diesem Abend. Humorvoll, trocken und mit viel Wissen2go. „Ihr könnt alle Logopäden vergessen. Die meisten sind zu nichts nütze. Das was gelehrt wird ist größtenteils einfach nur Unsinn.“ sprach die ausübende Logopädin. „Erst als ich mich auf das Thema Schlucken spezialisiert habe, konnte ich den Menschen wirklich helfen. Denn ihr müsst wissen: Nur der Affe kann gleichzeitig schlucken und essen. Der Mensch kann das nicht. Dafür kann er sprechen. Außerdem befindet sich eure Zunge im Ruhezustand immer am Gaumen. Niemals unten.“ Und mit dieser Weisheit und Erkenntnis des Tages gingen wir zu Bett.

 

2. Etappe | becks Tag

„Natürlich kommst du mit uns Sibylle.“ Es hatte die ganze Nacht geregnet und der Hüttenwirt hatte uns dringlichst davon abgeraten die Route über den Berg mit weiteren, schwierigen Kletterpassagen fortzusetzen. Die Alternative war nach Mittenwald abzusteigen, mit dem Bus nach Scharnitz zu fahren und von dort zum Karwendelhaus zu wandern. „Na gut, uns bleibt ja nichts anderes übrig.“ Sibylle, die die gleiche Route wie wir geplant hatte, nahmen wir zugleich unter die Fittiche und wanderten ab nun zu sechst weiter. Becks, die sich eigentlich nur wegen des Aufstiegs und der vielen Gipfel für diese Tour beworben und angemeldet hatte, wurde nun auf ihre größte Probe gestellt. Oder sollte man besser sagen: Ihre defekte Hüfte und ihr dadurch völlig irreparables rechtes Knie. Unter schwersten Schmerzen stieg sie den Berg hinab. „Am besten lässt du nicht nur deine Hüfte, sondern auch gleich dein Knie richten, wenn du unterm Messer liegst.“ schlug Sonja vor. „Geht nicht, dienstags machen die nur Hüfte und mittwochs Knie.“ „Dann buch dir doch einfach ne Nacht-OP um 23:55 Uhr!“

„Ach, dann können wir unseren Bus ja gleich nach Scharnitz umparken. Das ist ja viel praktischer. Wir müssen ja eh am Ende der Tour noch mit dem Zug zurück.“ Kristin manövrierte uns, den Bus und Sibylle auf den Wanderparkplatz in Österreich. „Das ist aber doof. Hier kann man ja nur ein Parkticket für drei Tage lösen.“ „Na ja, der Wille war da. Wir wollten ja länger buchen. Die werden uns schon nicht abschleppen.“

Wir marschierten zu sechst Richtung Karwendelhaus los, bis Kristin merkte, dass sie ihre Brille noch aufhatte und diese noch zurück in den Bus bringen musste. In der Zeit zippte sich Sonja wieder ab, becks dehnte abermals ordentlich ihr Knie, Lari rieb sich noch mal mit Sonnencreme ein und ich suchte vermutlich wieder mal irgendwas. In dieser Zeit verschaffte sich Sibylle einen ordentlichen Vorsprung, hatte sie größte Bedenken die 5-stündige Wanderung bis zur Hütte noch bis vor Einbruch der Dunkelheit zu schaffen. Auch wir haderten mit der kalkulierten Zeit, kündigte die Mickey Maus bereits 13 Uhr und einen „schönen Mittag, Kumpel“, an. „Jetzt aber hurtig, wir müssen richtig Gas geben.“ An einer Abzweigung wählten wir den steileren Weg durch den Wald. „Egal, wir müssen jetzt richtig Meter machen.“ Sibylle war nicht mehr zu sehen. „Die läuft wahrscheinlich auf dem 201er Weg.“ wusste ich mitzuteilen. Es war wahrscheinlich das Einzige, was ich mir überhaupt so richtig von der Strecke gemerkt hatte. Nach dem steilen Aufstieg zog sich die breite, schottrige Waldautobahn entlang der Isar-Promenade wie Gummi. „Kein Wunder, das ist ja auch ein Mountainbike-Weg.“ „Leute, ich denk als, hier fehlt doch jemand.“ bemerkte becks. „Wo ist denn nur Sibylle. Ich vermisse sie jetzt schon.“ Sibylle war weit und breit nicht zu sehen. „Die ist bestimmt noch auf dem 201er Weg.“ Kein Mensch wusste wo dieser sein sollte. Aber es war definitiv die Nummer die Sybille genannt hatte. Unser Weg wurde stetig monotoner. Keine Abwechslung im Bewegungsablauf. Gift für die Beine. Zu allem Überdruss fing es an zu nieseln. Und dann zu schütten. Becks sprach schon seit einer Ewigkeit kein Wort mehr. Ihr Gesicht, ausdruckslos. Und dennoch lief sie schnurrstracks weiter. „Auf einer Skala von 1 – 10, wie schlimm ist der Schmerz?“ fragte ich vorsichtig. „11.“ Mehr bekam ich nicht zu hören. „Entweder ich lass mich gleich abholen oder ich gehe jetzt ohne Pause einfach bis zum Ende weiter.“ fügte sie nach einigen Minuten an. Kristin und ich standen unter immenser Bredouille. Von hinten wurde ein Pausenstopp von Sonja für Lari eingefordert und vorne wollte der Zug nicht stehen bleiben. Währenddessen Starkregen. „Lauf, lauf einfach weiter becks!“ waren meine letzten Worte als ich den ICE auf ihre Reise schickte. Der Rest der Wagons versuchte Lari weiter zu motivieren, deren Beine und Sauerstoffzufuhr ebenfalls streikten. Außerdem hatte Lari in falsches Anti-Regenmaterial investiert, das die Gesamtsituation ebenfalls verschärfte. Doch auch Lari biss auf die Zähne und in das Fleisch des diesjährigen zähen Elefanten. Nach 23 widerlichen Kilometern erreichten wir das Karwendelhaus, das mittlerweile in der Sonne erstrahlte. Auch becks hatte einen Hauch von Lächeln wieder im Gesicht und noch nicht das Abreisetaxi bestellt. „Ich zieh das jetzt durch. Komme was wolle!“

Wir fanden Sibylle auch nicht auf der Hütte und erkundigten uns besorgt beim Hüttenpersonal. „Sibylle? Ja, die hat heut Mittag schon angerufen, dass sie es nicht schafft. Die ist wohl nach Mittenwald umgekehrt.“ Schade. Aber dafür hatten wir jetzt Jens auf dem Zimmer. Telekom-Mitarbeiter aus Darmstadt, der 6 Wochen Pause von dem IT-Wahnsinn brauchte. „Alles Überstunden, aber lasst uns nicht von der Arbeit reden. 6 Wochen Berge und das hier ist schon ein Wahnsinns-Anfang.“ Jens war genauso cool wie Sybille. Absolut trockener und sympathischer Humor. Wir berichteten ihm von unserem Umweg und von den Strapazen und auch von becks Durchhaltevermögen, trotz der anstehenden OP. „Wie so’n altes Auto, noch mal so richtig runterfahren.“ lautete sein kurzer Kommentar.  Es wurde ein kurzweiliger Abend. IT-Studenten aus München und Umgebung gesellten sich zu uns an den Tisch und legten den Studi-Armuts-Dackelblick auf, um am nächsten Morgen einige Brotscheiben und Tagesproviant von uns abzugreifen. „Die verdienen bestimmt alle doppelt so viel wie wir.“ lachten wir. „Aber egal, die haben sich trotzdem schwer gefreut.“ 

 

Etappe 3 | Sonjas Tag

„Ich möchte heute drei Gipfel machen. Kommt schon, wer kommt mit mir?“ Sonja, hochmotiviert wie immer, blickte in müde Gesichter. Selbst Jens ließ sich nicht dazu hinreißen, den Hausgipfel an der Karwendelhütte, mitzuwandern. „Ok, dann haben wir ja noch die zwei Gipfel an unserer nächsten Hütte, die wir machen können.“ „Ja, da komme ich auf jeden Fall mit“ versprach ich, vermutlich etwas voreilig. Nicht nur Laris, sondern auch meine Waden, waren komplett dicht. Als ob ein schwerer Klotz daran hängen würde. „Diese ungeplante 23-Kilometer-Umweg-Route hat uns alle zerstört. Becks, die sich so viele Gipfel für die Tour vorgenommen hatte war vollends enttäuscht und hatte als einziges Ziel, die Bestehung der Gesamtroute, im Blick. Auch Kristin plagten schwere Fußbeschwerden, die sie schon seit den Julischen Alpen in Slowenien mit sich trug. Nur Küken Sonja trällerte weiterhin und unbeschwerlich ein „Warum bin ich so fröhlich, so fröhlich, so fröhlich, so fröhlich war ich nie!“ vor sich hin. Wir verabschiedeten uns von Jens, der in eine andere Richtung weiterzog, sich aber fest vorgenommen hatte beim ersten LTE-Signal den Hit „Der Zug hat keine Bremse“ herunterzuladen, welchen wir mehrfach im Zimmer angestimmt hatten, jedoch nicht mit den Gesamt-Lyrics dienen konnten. Ich glaube er wird uns nicht vergessen.

Auch wenn die 3. Etappe nur 3,5 Stunden andauerte, so reichte uns dies vollends aus. „Heute Abend wird Magnesium eingenommen und mit Arnika-Creme eingeschmiert!“ ordnete Sonja an. „Das kann doch wohl nicht sein, dass ihr alle nicht mehr laufen könnt.“ Wie verspochen ließ ich mich zu einem Gipfel an der Falkenhütte hinreißen, welcher von Sonja jedoch nur die Bezeichnung „Greifensteiner Hügel“ erhielt. „Wer den Hügel nicht ehrt, ist des Gipfels nicht wert.“ verabschiedete ich mich und entschied mich für einen Aperol Spritz auf der Hütte mit Lari und becks. Kristin ließ den Schmerz ihrer Füße hinter sich und begleitete Sonja auf den 2.093 Meter hohen Mahnkopf. Währenddessen checkten wir drei Hinterbliebenen in der neu restaurierten und optisch mehr als ansprechenden Falkenhütte ein. O-Ton becks „Das Bad ist ja schöner als daheim.“ Auch die Dusche konnte mit knapp 3 Minuten Warmwasser überzeugen und das 6-Bett Lagerzimmer hatten wir diesmal ganz für uns. Als i-Tüpfelchen lernten wir an diesem Abend, die mehr als schmackhafte Kaspresssuppe kennen. Ein Zirben-Likör rundete den Abend ab. „Schade, dass ich heute Morgen das Hochalmkreuz nicht machen konnte. Dem trauere ich immer noch ein bisschen nach.“ waren die Worte der immer fitten Sonja, kurz vorm Schlafen gehen.

 

Etappe 4 | Julis Tag

„Wow, was ein Sonnenaufgang. Und das mit Blick aus dem Badezimmer!“ Die ersten Videosequenzen an der wunderbaren Falkenhütte und dem ersten richtig schönen Sonnenaufgang während der Tour, stimmten mich fröhlich. Außerdem war, dank Magnesiumtablette, Arnika-Creme und einem Aufdehnprogramm, auch keine Blockade mehr in der Wade zu spüren. Ich fühlte, dass heute ein Gipfel machbar war, verriet es aber noch nicht. Die Route, bis zum Abstieg auf die Eng-Alm, war vermutlich, auch Dank des tollen Wetters, eine der schönsten bislang. In Eng musste dann eine Entscheidung über Weitergehen oder Abbruch der Tour gefällt werden. „Na toll, auch noch an meinem einzigen Spitzentag.“ bedauerte ich gedanklich. Aber es war vernünftig darüber nachzudenken ein Gewitter mit Starkregen am Abstiegstag in Kauf zu nehmen. Wir entschieden uns, entgegen der miserablen Prognosen sämtlicher Wetter-Apps, für ein Weitergehen. „Ich brech die Tour doch jetzt nicht mehr ab!“ protestierte selbst becks. Ehrgeiz. Hat se.
„Juli, was ist mit deinem Tempo los? Ich erkenn dich ja kaum wieder?!“ fragte mich Sonja erstaunt. Die Maschinen waren endlich angelaufen. Ich plädiere definitiv für mehr Einlaufzeit bei einer zukünftigen Tour. „Wir haben ja immer noch so viel Proviant.“ bemerkte Kristin an unserem Mittagspausenstopp. Es war bemerkenswert was die einzelnen Teilnehmerinnen immer wieder aus ihren Rucksäcken zauberten. Ob Mama Giselas Mirabellen von heimischen Bäumen oder Pfirsiche aus Sonjas Elterngarten, Spätmirabellen von Lari, Trailmixe, Müsliriegel, Äpfel, Brötchen, Käse, Wurst und Pfefferbeißer. Es war jeden Mittag ein Festmahl auf den Bergen. An der Lamsenjochhütte angekommen blickte ich rüber zu Sonja. „Und Sonja, machen wir noch den Gipfel?“ Wir entschieden uns zwar gegen die zu anspruchsvolle Lamsenspitze, dafür aber für den Hahnkampl auf 2.080 Meter, der uns ein wunderbares Panorama bot. Unterdessen wurden die drei anderen Teilnehmerinnen Zeuge eines sehr strengen und diktatorischen Hüttenregimes. Beim Einchecken forderte die Hüttenwirtin mit strafendem Blick alle Gäste auf das Gepäck nicht mit auf die Zimmer zu nehmen, sondern gefälligst alles im Trockenraum zu lassen. ALLES. Keiner wagte zu widersprechen. Nur über die Schmuggleroute konnten wichtige Dinge nach oben transferiert werden. Lari und becks wagten noch einmal die Hüttenwirtin auf Duschmarken anzusprechen. In ihrer bekannten, liebevollen Art und Stimme fragte Lari vorsichtig: „Darf man auch zwei Duschmarken haben? Also wegen meiner Haare und der Spülung?“ Die Hüttenwirtin antwortete mit eisiger Miene: „Man kann zwei Duschmarken haben. Aber man kann auch Wasser sparen.“ und händigte Lari mit strafendem Blick beide Marken aus. Das Karma folgte. Hatten becks und Kristin noch jeweils warmes Wasser, so wendete sich das Blatt für Lari direkt. Kalte Dusche. Die zweite Marke war erst gar nicht anzuwenden. „Das hat die doch gesehen, dass du jetzt duschst.“ schimpfte becks. „Die saß bestimmt unten am Mischpult und hat dir das Wasser kalt gedreht.“

Sonja und ich hatten Glück. Das Wasser war warm. Aber die Dusche, eher gesagt die Duschmatte, unterirdisch eklig. „Lieber eine schlechte warme Dusche, als keine Dusche.“ vollendete Sonja die Weisheit des Tages. Währenddessen hatte sich eine junge Berlinerin im Bad eingefunden, die sich lauthals über nicht vorhandene Haken in den Zimmern beschwerte. Sie klärte uns auch gleichzeitig über das Handtuchhalterprinzip an den Waschbecken auf. „Das ist eine total schlechte und völlig veraltete Erfindung aus Berlin! Die Handtücher werden quasi in dieses unhygienische Teil aufgesogen.“ Wir schüttelten ungläubig mit dem Kopf. Wo waren wir hier gelandet?

Das Abendessen und die freundliche Bedienung sollten uns zum Glück noch einmal wohlwollend im Gesamturteil umstimmen. „Man darf auch nicht nur meckern. Immerhin sitzen wir im Trockenen.“ Und dann fing es draußen wieder an zu schütten. „Meine App sagt aktuell 3 Liter für morgen und Nieselregen an.“ informierte uns becks, die als O2-Kundin als einzige Empfang und es außerdem gewagt hatte bei der Hüttenwirtin nach einem Eisbeutel für ihr Knie zu fragen. „Ihr werdet es nicht glauben, sie hat sogar am Ende ein wenig den Mundwinkel zu einem Mini-Lächeln geformt. Ich glaube wir sind jetzt Freunde.“ In der Nacht regnete es. Und am Morgen regnete es. Draußen war nur Nebel zu sehen. „Oh jetzt schreibt die App, dass wir 11 Liter haben. Wie unglücklich.“

 

5. Etappe | Laris Tag

Als wir es zum ersten Mal während des ganzen Trips schafften bereits um 7 Uhr zu frühstücken, klarte gegen 7:30 Uhr der Himmel auf. „Okay Leute, das Zeitfenster ist angebrochen. Wir müssen JETZT los.“ kündigte Kristin an. „4 Stunden Abstieg bis nach Schwaz. Wir haben einen Zug zu kriegen.“ Lari schwing die Hufe und gab das Tempo fortan an. In einer nie dagewesenen Geschwindigkeit petzten wir den Berg hinunter. Die Angst, doch noch in Starkregen oder Gewitter zu geraten war allgegenwärtig. Lari drehte sich immer wieder verwundert zu Seite und zurück. „Ich bin heute so fit wie nie. Ich könnte heute wirklich einen Gipfel machen.“ Trotz, dass wir kurzzeitig einen falschen Weg eingeschlagen hatten, erreichten wir Schwaz eine Stunde früher als geplant. „Das schreit ja nach einer Belohnung.“ und becks lud uns alle zu einem Leberkäsebrötchen und Coffe-to-go ein, bevor wir in den äußerst modernen Regionalzug der österreichischen Bundesbahn mit free-Wifi stiegen. Eine halbe Stunde bis nach Innsbruck und dann noch mal eine Stunde um bis nach Scharnitz zu gelangen. Als wir ausstiegen, setzte der Regen erneut ein. „Kommt schnell, es sind nur 10 Minuten bis zum Wanderparkplatz“. Noch einmal spurteten wir mit unseren letzten Kraftreserven los. „Was hängt denn da vorne in der Windschutzscheibe?“ fragte ich ungläubig, hatte ich am Abend zuvor noch gegen einen Strafzettel getippt. „Wieviel sind es?“ wollte Kristin wissen, lagen sie und Lari richtig, hatten aber auf unterschiedliche Beträge getippt. „25€ - Schnapper!“ -  Man gönnt sich ja sonst nichts.

Eine weitere, wundervolle Hüttenwanderung geht zu Ende. Es war mal wieder ein Highlight und wie immer ein unvergessliches Erlebnis in den Bergen. Jeder Meter, jede Anstrengung, jeder Schweißtropfen und jeder Schmerz war diese Wanderung wert. Da oben ist die Welt ein bisschen anders. Einfacher. Befreiter. Sorglos.

Erst wenn ich wieder absteige, spüre ich das Gewicht der Welt auf mir.
- Anatoli Bukrejew.