Ich bin doch keine Maschine...

Unter strömendem Regen erreichten wir am Nachmittag Lasso und unsere Unterkunft für die Nacht, die auf 3.800 Metern gelegen war. Die Bio-Farm erinnerte an ein Anwesen aus Rosamunde Pilcher Filmen und lud mit idyllischem Flair und einem Auge fürs Detail ein. Wir wurden mit einem absonderlich guten, südamerikanischen Tee in dem liebevoll hergerichteten Wohnzimmer mit einem Kamin, vielen Büchern, antiker Sitzmöbel und einem Gefühl von "hier bist du zu Hause" empfangen. Durchs Fenster begutachteten wir die weitläufige, verregnete Farmlandschaft, grüne, saftige Wiesen, wohlgenährte Kühe und stolze Pferde. Irland hätte präsenter nicht sein können. 


Mountainbiking stand heute auf dem Programm, doch hatte sich die Euphorie beim Anblick der Wetterlage sehr schnell gelegt. Einem jeden stand "Bei diesem Regen, nein Danke!" auf der Stirn geschrieben. Während sich die Männer bereits für einen Kochkurs in der Farmerküche entschieden hatten, packte Löön und mich noch mal der Ehrgeiz. "Come on guys, we're not out of sugar! Let's do it!" Schließlich war diese Aktivität einer der Hauptgründe, weshalb wir die Tour überhaupt gebucht hatten. Team Fleisbach & friends (Nancy und Jasmin) trotzte also dem Regen und machte sich, in Poncho und Regenjacken verpackt, auf den Weg. "Ich bin noch nie durch so viel Scheisse gefahren!" wiederholte sich Kristin mehrfach, als wir den engen, versumpften Trail - von hinterschauenden, glücklichen, Kühen - passierten. Unter Anwendung all unserer Kräfte und Atemzufuhrmöglichkeiten, arbeiteten wir uns die vermatschten, schmalen Pfade nach oben. Hierbei legte sich Sissy bei einem scharfen U-Turn gekonnt ins Gras und rutschte um ein Haar den halben Hang hinab. Da alles in Zeitlupe geschah, konnten wir nicht anders als vor Schmerzen lachen. Jasmin machte der Weg am meisten zu schaffen, hatte sie zuvor noch nie auf einem Mountainbike gesessen und musste sich nun dieser anspruchsvollen Strecke stellen, mit der selbst Löön zu kämpfen hatte. Ich bildete mit Jasmin die Nachhut und sorgte dafür, dass wir den Anschluss nicht verloren, hatten wir nur einen Guide dabei, der lediglich Spanisch sprach. Zur Hälfte des Trails musste Jasmin abbrechen und das wurde zu einem größeren Problem. Aufgrund der Personalunterbesetzung und nicht vorhandenem Netz, entschied sich der Guide, Jasmin mit unverständlichen Anweisungen auf Spanisch alleine zurück zu schicken. Das wäre natürlich unverantwortlich und nicht zumutbar gewesen, jedoch wollten wir den Trail auch nicht abbrechen. Also blieb uns nichts anderes übrig, als die Truppe zu teilen. Sissy und Nancy begleiten Jasmin zurück auf das Anwesen, während Löön, Kristin und ich den Guide in höhere Gefilde begleiteten. Der Trail wurde jetzt noch spannender und durch kurze Waldabschnitte immer interessanter. Allerdings hatten wir mit zwei entscheidenden Faktoren zu kämpfen: der einbrechenden Dunkelheit und der Atemnot. Die Höhe machte besonders mir zu schaffen und so musste ich unter Puls- und Herzrasen immer wieder absetzen und innehalten. Als mal wieder der Punkt erreicht war und ich anschließend versuchte den anderen aufzuschließen, sah ich im Augenwinkel nur noch Kristin, samt ihrem Fahrrad, eine kleine Holzbrücke in den Sumpf stürzen. War es jetzt Glück im Unglück, dass der Untergrund weich war und sie sich nichts weiter als eine Zerrung zugezogen hatte? Zu dritt zogen wir das eingematschte Rad aus dem Sumpf und konnten froh sein, dass der Guide wenigstens Taschentücher zur Reinigung aufweisen konnte. Als wäre nichts geschehen, schwang sich Kristin wieder aufs Rad und trat in die Pedale "Auf Leute, es wird dunkel!" und ich hatte Not Schritt zu halten. Am höchsten Punkt erblickten wir den Vulkan Cotopaxi in schönster Sonnenuntergangsbelichtung. Ein Bild für die Galerie! Doch wie sollte es anders sein, auch den Akkus machte die Höhe deutlich zu schaffen. Natürlich war zu diesem Zeitpunkt kein Endgerät mehr in der Lage diesen Moment festzuhalten. What a pity!


Die letzte halbe Stunde wurde zur größten Herausforderung. Ohne Licht und kurz vor stockdunkel, bretterten wir downhill den Berg hinunter. Auch ich warf mich noch einmal ins Gras. Das letzte Stück ging zwar nicht mehr bergab, doch der unebene und vor allen nicht einsehbare Untergrund erwies sich mehr als gefährlich. Kristin ging sogar so weit, die Abfahrt gefährlicher als das Klettern zu nennen. Dem hätte ich natürlich nie zugestimmt. In absoluter Finsternis erreichten wir fast unbeschadet das Anwesen und wurden mit beheiztem Kamin, Wärmflaschen und einem phänomenalen, bio-orientierten Abendessen empfangen. Grandios!


Löön und ich rätselten noch bis tief in die Nacht, wie ein Tod durch Kohlenmonoxidvergiftung zu Stande kommen könnte, während wir die lodernden Flammen in unserem Kamin verfolgten. Sicherheitshalber stellte ich den Wecker auf 4 Uhr, um zu prüfen, ob wir noch lebten. 


Wir taten es und so konnten wir uns auch der letzten großen Prüfung stellen: Dem Cotopaxi. Der aktive Vulkan, der seit den 90er Jahren überfällig war und eine Höhe von knapp 6.000 Metern aufweist, erstreckte sich majestätisch und eisbedeckt vor uns. "Warum liegt da eigentlich Schnee drauf, wenn unten die heiße Lava brodelt?" stellte sich Löön und mir die Frage, die auch unsere Erdkundelehrerinnen nicht auf Anhieb beantworten konnten. Im Zwiebelschichtformat gekleidet (endlich kam die Ski-Unterwäsche zum Einsatz!) und völlig vermummt, arbeiteten wir uns von 4.000 Meter nach oben. Der Wind schlug uns eisig um die Ohren und schon nach wenigen Metern bekamen wir mit der Atemzuführung zu schaffen. "Wie hat es der Reinhold nur ohne Sauerstoffmaske auf den Mount Everst geschafft?! Was für ein Freak!" Der Weg wurde beschwerlicher und unberechenbarer. Zwangspausen mussten mehrfach eingelegt werden, da die Höhenkrankheit insbesondere bei Sissy eintrat. Auch Löön hatte diesmal zu kämpfen und bei mir setzte zunehmend gezielter Kopfschmerz wie Nadelstiche ein. Lediglich Kristin merkte mal wieder gar nichts und wanderte fröhlich voran. "Die läuft uns noch in Grund und Boden!" stellten wir einstimmig fest. Wir kamen uns vor wie auf einer Polarexpedition. Von oben bis unten vermummt, eingecremt und Sonnenbrille-tragend, denn trotz des eisigen Windes traf uns die Sonne an diesem Punkt der Erde am meisten. Schritt für Schritt arbeiteten wir uns bis auf 4.800 Meter nach oben und fielen dankbar und überglücklich vor dem Cotopaxi-Schild nieder. Ob man noch weiter nach oben wandern darf, kann ich nicht beantworten, jedoch gehört es nicht zu meinen ausgesprochenen Empfehlungen. Am Zielpunkt angekommen, kehrten wir in eine unbeheizte Hütte ein, wo wir mit Koka-Tee empfangen wurden (Oh, das war doch dieser natürliche Drogensubtrakt, den wir schon in Peru verabreicht bekommen hatten :)). Sissy war mittlerweile nicht mehr in der Lage zu stehen und ihr wurde eine rote Pille zugewiesen (auch die kannte ich bereits aus Peru). Nach einer kurzen Erholungsphase scheuchte uns Carlos wieder den Berg hinunter. Sissy taumelte mehr oder weniger die Vulkanlandschaft entlang, setzte ihr das Schlechtsein immer weiter zu. Sie musste einen Endspurt eingelegt haben, denn schon bald konnten wir sie nicht mehr sehen. Da es dem Rest von uns wieder besser ging, sammelten wir noch ein paar Monumente des Vulkans ein. "Die haben 6.000 Meter Berg, da werden die doch wohl mal nen Stein entbehren können." Carlos beäugte uns erneut griesgrämig und wies uns emotionslos darauf hin, dass wir die Steine wenigstens verstecken sollten. Alles in allem ist der Tourguide das Schlechteste, was uns auf diesem Trip geschehen konnte. So jemand unmotivierten und wenig engagierten Menschen hatten wir lange nicht gesehen.  Aber wir machten uns nichts weiter draus, hatten wir den Spaß unseres Lebens. Was für eine aufregende, belebende und abenteuerliche Tour! 


Der Weg führt uns nun noch einmal in die Hauptstadt Quito, wo wir uns hoffentlich ein wenig regenerieren und die Geschehnisse verarbeiten können, um am Mittwoch wieder vollends in den Alltag einsteigen zu dürfen. Vamos Amigos!





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