Nicht ohne meinen Helm!

„Entweder ich werde jetzt richtig krank oder das Gletscherwasser heilt mich.“ Und mit diesen Worten sprang ich die 3 Meter hohe Klippe in die Fluten des Rio Ésera, um der sich anbahnenden Erkältungsgrippe zu trotzen, die mich seit anderthalb Tagen in Schacht hielt. „Dass diese Grippeschutzimpfung aber auch jedes Jahr einen Monat zu spät angeboten wird!“

Gegen 12 Uhr hatten wir unsere nächste sportive Aktivität „Rafting“ gestartet. Zuvor war noch ein Besuch in der Pharmacie nötig, in der ich mich mit „pastillas parca chupar“ versorgte. Doping im Sport - kennen wir eigentlich nicht.... ‚Dolphin‘, unser argentinischer Guide, händigte uns die Neoprenanzüge aus, die sich nur schwerfällig bis gar nicht überstreifen ließen. „Oh man, ich bin einfach zu fett.“, monierte Sissy mehrmals. Vielleicht lag es aber auch einfach an unseren durchtrainierten Waden. Oder die Spanierinnen sind einfach schlanker und zierlicher. Wohl eher letzteres.

Wir hievten gemeinsam das Schlauchboot in das Canyonwasser, was uns mit Wohlfühltemperaturen von 10 Grad begrüßte. Es war schweinekalt. „Vamos Amigos!“ und mit diesem Ruf schlugen wir mit den Paddeln in die Fluten, welche durchaus anspruchsvoller als die im Rhein, aber keineswegs höher als die in Ecuador waren. Die erste Passage war machbar, Einsteigerlevel. Wir paddelten entlang einschneidender Landschaften und durch spanisch, historische Monumente. „Das ist ist doch hier so ein Aquädukt.“, merkte Löön an. „Ja, oder vielleicht einfach eine alte, baufällige Brücke.“ In der zweiten Passage wurde der Canyon felsiger und die Flussströmung diffiziler. Als mittlerweile eingespieltes Rafting-Team - hallo, wir hatten den Rhein bezwungen - paddelten wir gekonnt, slalomartig durch die Felsbrandungen, die mächtig aus dem Wasser ragten. Dolphin war zufrieden mit uns. „Good Team.“ Nach zwei Stunden „paddel forward“ und „paddel backward“ erreichten wir einen felsigen Überhang, von dem wir springen durften. Da ich mittlerweile eh klatschnass war und die anderen schon zu Beginn von einem Felsen gesprungen waren, blendete ich meinen Gesundheitszustand aus und reihte mich bei den Klippenspringern ein. Der Sprung ins eiskalte Nass und die reißende Strömung sorgten für einen weitaus angenehmeren Adrenalinkick, als das Klettern am Tage zuvor. Freudestrahlend paddelten wir bis zum Anlegeufer und manövrierten das Schlauchboot gemeinsam mit Dolphin auf einen uralten Nissan Jeep, der sicherlich seit einigen Jahren keinen TÜV mehr besaß und museumswert hatte, worauf das uralt eingebaute Radiogerät zu schließen ließ. Wir kutschierten damit wieder bis zum Ausgangspunkt und würgten währenddessen nur zweimal ab.

Nach einem Sandwichlunch auf der nahegelegenen Wiese kehrten wir wieder heim. An diesem Abend stand gemeinsames Kochen und Kartenspielen auf dem Programm, schließlich war Tag der deutschen Einheit und der musste gebührend gefeiert werde. „Das sind die besten Nudeln mit Tomatensauce, die ich je gegessen habe.“ freute sich Sissy. Es ist erstaunlich, wie man mit so wenig Gewürzauswahl, einer überschaubaren Küchengeräteansammlung und nur zwei Töpfen, ein drei-Gänge-Menü herbeizaubern kann, das uns tragischerweise auch noch weit aus besser mundete, als die Paella-Pfanne am Tage zuvor.

Mit zwei Hustern (bei dreien wäre ich auf die Schlafcouch verwiesen worden), ging ich zu Bett. Am nächsten Morgen wachte ich mit einer verrauchten Whiskeystimme, begleitet von weiteren Grippesymptomen auf. Mountainbiken, 21 Kilometer, Trails inklusive, stand auf der Agenda. Augen zu und durch.

 „Gibt es eigentlich eine Aktivität in diesem Urlaub, bei dem ihr nicht zwingend Helme benötigt?“, erreichte Sissy noch die Nachricht, als wir unser Fahrradequipment bereits übergestreift und die „Fullies“ in Empfang genommen hatten. Dolphin war auch heute unser Guide und musste sich gleich zu Beginn der Tour mit den kleinen und großen Wehwehchen auseinandersetzen. „Mein Helm passt nicht.“ „Meine Bremse funktioniert nicht.“ „Die Go-Pro lässt sich nicht installieren.“ „Ich bin krank.“ Das spanische Fahrradmaterial entsprach wahrhaft nicht dem deutschen Standard und hatte den ein oder anderen Mangel aufzuweisen. So sprang beispielsweise Sissy schon nach 10 Minuten die Kette aus der Fassung, die Dolphin einen größeren Reparaturaufwand kostete. Jedoch hatten wir ja nur die Anfängertour gebucht. Familienedition. Da sollte ja nichts passieren.

Wir durchführen schönste Landschaftsabschnitte am Fuße der Pyrenäen, die uns Blick auf schneebedeckte Berggipfel gaben. Und auf eine Burg. Dort mussten wir dann auch unglücklicherweise hoch. Die Strecke erwies sich als recht langgezogen und steil und schon nach wenigen Metern sah ich meinen Pulk nur noch von Weitem. Keuchend und schwitzend kam ich kaum den Berg hinauf und die Luft schnürte sich in meinem Hals zusammen. Sonjas Asthmaspray hätte an dieser Stelle Wunder gewirkt, hatte ich aber nicht zur Hand. Als die anderen drei bereits oben die fabelhafte Aussicht genossen, rang ich noch lange nach Sauerstoff. Die Erkältung setzte mir doch mehr zu als gedacht.

Im nächsten Streckenabschnitt wurde der Weg einspurig und felsiger. Und plötzlich waren die Wegzeichen auch nicht mehr grün (Anfänger) und auch nicht mehr blau (Fortgeschrittene), sondern rot plus und schwarz (Master of the Trail). Die felsigen Brocken, die sich uns in den Weg legten, waren kaum zu überwinden, geschweige denn von dem Abgrund, der sich links vor uns eröffnete. Anstatt Wurzeln nur Steine, Geröll und Felsen. Tiefe Spurrillen, scharfe Kurven, steile Abhänge. Sissy und ich schoben das Rad deutlich mehr als dass wir fuhren und unsere Abfahrten waren geprägt von „Ach, du Scheiße!“, „Was ist das denn hier?!“ und „Ahhhhhh!!!“. Selbst Löön, eine sonst sehr wagemutige Fahrerin, musste sich an einigen Passagen im Schiebemodus wiederfinden. Lediglich Kristin-the-Machine war mal wieder nicht zu bremsen und wagte sich über Fels und Stein. Unterdessen überlegte ich, ob ich das nächste Mal nur noch als Kamerafrau mitfahren und die Funktion als Stuntman lieber deaktivieren sollte. „Denk dran Sissy, wir müssen nächste Woche noch gegen Fellerdilln spielen. Wir dürfen hier nichts riskieren.“ Diese Worte ereilten Kristin leider nicht mehr, hatte sie sich mittlerweile als Master-of-the-Trails etabliert und bewegte sich furchtlos über die nächste, für mich unüberwindbare, Passage. Noch im Genuss des Erfolges, Fels 0 - Kristin 1, verhakte sich die Trailkünstlerin in einer tiefer gelegenen Schotterkuhle und stürzte, nach Löons Worten, in Zeitlupe kopfüber über das Fahrrad und landete, wie durch ein Wunder, nur mit den Knien und Armen auf dem spitzen Fels. Kopf und Gesicht blieben verschont, doch die aufgeschürften Wunden entfaltenden sich blitzschnell. Blut lief.

Trotz der ganzen Dramatik setzte sich Kristin-the-machine postwendend wieder aufs Mountainbike, trotzte dem Schmerz mit den Worten „Ja, was soll ich denn machen außer weiter fahren?!“ und setzte die Reise auf dem Felsuntergrund fort. Nur wenige Minuten später legte sich Kristin erneut. Es blieb bei blauen Flecken und wir schüttelten nur den Kopf. Kristin war einfach zu hart für uns.

„Ich dachte wir würden hier Bier trinken.“ sprach Löön, als wir wieder in unserer Wohnung zugegen waren und ich frische Zitrone und Honig in das Erkältungsendgetränk presste. „Jetzt sitzen wir hier vor selbstgebrautem Ingwertee.“ „Reine Prophylaxe, safety first.“, ermahnte ich, während meine Nasennebenhöhlen völlig kapitulierten. Wir gaben dem spanischen Gastronomiegewerbe an diesem Abend noch eine zweite Chance und zogen zur iberischen Abendessenszeit um 21 Uhr noch mal los. Eine Tapasbar, die uns unser Guide empfohlen hatte, wurde das Ziel. Und diesmal sollten wir nicht enttäuscht werden. Kleine leckere Speisen, von Mini-Hamburgern, über Röstibaguettes bis hin zu Spiegelei-Serrano-Schinken-Kreationen zierten unsere Teller. Die Krönung bestand aus der Nachspeisenkreation in Form von Zitroneneissorbee, geschmolzenen Schokokugeln im Teigmantel und Walnusssahne-Honig-Joghurt. Hier kehren wir nochmal ein. Ein Hoch auf die spanische Tapasvielfalt!













0 Kommentare:

Kommentar veröffentlichen