Save your tears for another day.

„Schnaufi, schnaufi, ich schnaufe bis zum Schluss, ich bin ein Schnaufapparat.“ - Dolomitischer Chorgesang bei sämtlichen Aufstiegen.


Corona hatte - ohne Frage - auch Spuren bei uns hinterlassen. Wo sich Kristin in 2020 noch „unterdrückt“ gefühlt hatte, so bemerkte Sonja dieses Jahr, dass sie völlig unterwandert war. Die Höhenmeter machten nicht nur unseren ehrgeizigen, zwei Maschinen zu schaffen. Löön und ich bekannten uns schon nach wenigen Stunden zum Fan von Laris Wandertempo, die als Neueinsteigerin in unsere Wandertruppe gefunden hatte und Selis Platz nahtlos einnahm. „Ich mag ja wandern, aber DIESE BERGE!“


Wir waren am Samstag, nach 12 anstatt 8 Stunden Fahrt, in Südtirol angekommen. Wichtige Innenstädte, wie die von Stuttgart und Ulm, mussten auf der Bildungsreise mit erkundet werden, während uns unsere Navigationssprecherin mehrfach und hochmotivierend darauf hinwies, dass wir uns immer noch auf der schnellsten Route befanden. Zum Glück hatten wir die 25 Kilo Proviant an Board, die wir während der endlos vielen Staus, zu einem gefühlten Drittel bereits aufbrauchen konnten. 


In Stefansdorf angekommen, erstrahlte das neugebaute und schick eingerichtete Ferienwohnhaus, in der Abendsonne vor uns. „Letzter Luxus vor Hüttenleben.“ In einem riesengroßen Topf richteten Löön und Kristin im One-Pot-Verfahren ein vegetarisches Pastagericht an, während Lari den Aperol-Aperitif arrangierte und ich den Vorspeisenteller dekorierte. Gegessen hatten wir schließlich noch lange nicht genug! Sonja untermalte währenddessen die Kochsession mit einer Deutsch-Rap Playlist, da wir uns zum Ziel gesetzt hatten, bis zum Tourende alle Musikgenres einmal durchgehört zu haben. 


„Es ist 5:33 Uhr, guten Morgen Kumpel!“ richtete Mickey Mouse hochmotiviert die Worte an uns. Zerknirscht und verschlafen servierten wir das Frühstück und machten uns im Halbdunkeln auf nach Campil, unserem Startpunkt für die 4-tägige Wanderung. Wir hatten noch keine 50 Meter zurückgelegt, da hörte man schon die jährlich bekannten Reklamationen. „Boah, ist das heiß, ich muss erst mal abzippen!“ „Der Rucksack sitzt nicht richtig!“ „Wo ist eigentlich die Mülltüte?“ „Ich finde es ist jetzt mal Zeit für ein Image-Foto.“ und „Mist, ich habe meine Stöcke stehen gelassen.“ 


Nachdem die üblichen Startschwierigkeiten überwunden waren, führte uns der Weg, bei bestem Kaiserwetter, entlang von alten, hölzernen Mühlen, vorbei an der Baumgrenze bis hin zu einer Windows-XP Wiesen-Landschaft, die ein kleines Dorf mit Holzhütten, inmitten eines saftig-grünen, hügeligen Gras-Terrain offerierte. Die Höhenmeter machten sich bei allen Beteiligten im Atmungsbereich bemerkbar und Lari forderte eine zweite, externe Lunge. „So eine Cloudlösung für ein weiteres Sauerstofforgan wäre gar nicht so verkehrt.“ Bis zur Scharte und Halbzeit des 8-stündigen Aufstiegs, führten undankbare Stufen, die auch unsere zwei Maschinen an ihrer Grenzen trieben. Danach wurde es kantig bis schottig. Der lose Untergrund forderte höchste Konzentration und Trittsicherheit. Lari musste die Operation „Hüttenwanderung“ mehrfach, still fluchend, in Frage gestellt haben und auch ich rief bei jeder Gelegenheit den „Maschinenstopp“ aus, damit Lokomotive Mittelhessen nicht gänzlich auseinander driftete. Unsere erste Gipfelspitze, den kleinen Peitlerkofel, auf 2.813 Metern, erreichten wir gegen 14:00 Uhr. „Ja prima, dann können wir ja noch deh großen Kofel machen.“ grinste Löön und ich schaute ungläubig auf den unwegsamen Klettersteig, der steil in die Höhe führte. „Meint ihr wir schaffen das vor dem angekündigten Gewitter?“ fragte Sonja, die zwar vor Motivationshoch kaum zu stoppen war, die Gefahr der Berge jedoch nicht unterschätzte. Dank hervorragendem 4G-Empfang in italienischen Hoheitsgebieten, checkten Kristin und Löön postwendend das Wettergeschehen auf bergfex.com und gaben grünes Licht „Kein Wölkchen weit und breit.“ Wir näherten uns dem Einstiegspunkt und ich starrte zweifelnd zum Gipfel. Beim ersten Windstoß wand sich Lari an mich „Zeit für Kapitulation?“ Dankbar nahm ich die gedankliche weiße Fahne in die Hand. Während sich Lari und ich im immer stärker kalt werdendem Wartebereich des Gipfeleingangs aufhielten, marschierten Sonja, Kristin und Löön in einem Affenspeed den Klettersteig nach oben. Je mehr die drei sich dem Gipfel näherten, desto schlimmer zog sich die Suppe zu. Nach einer gefühlten Ewigkeit sahen wir unser Bergziegen-Trio von der Spitze wieder herunter galoppieren. Mittlerweile hatten Lari und ich sämtliche verfügbaren Kleiderstücke übergestreift, peitschte uns der gnadenlose Wind auf 2.500 Metern nur so um die Ohren. Kaum hatten die drei uns erreicht und wir unseren gemeinsamen Weg Richtung Schlüterhütte fortgesetzt, perlten die ersten Regentropfen an uns herunter. Sonja lauschte mit spitzen Ohren in die Ferne. Grollen. Leichtes Donnergeräusch. Und der Regen wurde stärker. Panisch warfen wir die Regencapes über unsere Rucksäcke, als ich feststellen musste, dass ich das falsche Objekt eingepackt hatte und nur ein Drittel des Backpacks bedeckt war. Gedanklich spielte ich die Konsequenzen im Kopf durch. Nasse Klamotten, nasser Schlafsack. Es war zum Heulen. In diesem Moment setzte der Hagel ein und schoss scharf von der Seite in unseren Laufweg. Es nützte alles nichts, wie spurteten den losen Untergrund weiter hinunter und hielten die Luft an, in der Hoffnung, dass sich das Gewitter eine Alternativroute suchen würde.


Da wir allesamt Glückspilze sind, wie wir wieder einmal feststellen mussten, stellte sich nicht nur das Grollen nach einer Weile ein. Nein, auch die Sonne kroch wieder vor den Wolken hervor und trocknete, auf der letzten Stunde Wanderweg, all unsere Klamotten, sowie meinen Backpack. Dem Himmel sei Dank! In der Schlüterhütte erwartete uns ein kleines Bettenlager, 3-Minuten Duschfreude, sowie warme Suppe, leckere Hauptgerichte und ein selbstgebrannter Hüttenschnaps mit dem Aroma Fichtennadelholz. Lecker. Schmecker.


„Es ist 22:00 Uhr, gute Nacht Kumpel.“ Die Mickey Mouse verabschiedete uns in die Hüttenruhe, die von manchen Gästen in der oberen Etage eher als Hüttengaudi verstanden wurde. Eine unruhige Nacht mit wenig Tiefschlafphase begleitete uns in den Morgen und ließ uns den nächsten Tag nur mit einer deutlichen Überdosis Kaffee überstehen. 


Starterfoto. „Muss noch mal auf‘s Klo“. „Hab meine Stöcke liegen gelassen.“ „Ach, ich zipp doch schon ab.“ - Die üblichen Umstände ließen uns mal wieder erst um 9 Uhr, statt um geplant 8 Uhr starten. 


„Du hast schon 150 Stockwerke hinter dir, gut gemacht Kumpel!“ Auch die gut gemeinten und motivierenden Worte Mickeys, sowie das grandiose Wetter und das unfassbare Bergpanorama, ließen die Anstrengung des erneuten Aufstiegs nicht ganz in den Hintergrund rücken. „Blood, sweat and tears.“ zitierte Lari Winston Churchill, als der nächste Anstieg folgte. Tourführerin Kristin hatte eine ausgeklügelte Route erarbeitet, die uns über Alternativwege zur Regensburger Hütte führen sollte. Fernab des Wandermainstreams, arbeiteten wir uns eine achtlos liegen gelassene Scharte hinauf, auf der weit und breit kein Wanderer zu sehen war. Einmal mehr gab der lose Untergrund unter jedem Schritt ein paar Steinchen frei, mit der man mühelos eine kleine Gerölllawine lostreten hätte können. „Konzentration Leute, nicht nachlassen.“ Die Fußballfloskeln ließen sich auch problemlos beim Wandern einwerfen, wie ich feststellen konnte. Der enge Schacht forderte uns mal wieder einiges ab, doch wir erreichten sicher das Ende mit Ausblick, an dem wir auch unsere Mittagspause einlegten. 


Während sich Löön Kortings Pefferbeißer zwischen die Zähne schob, Lari ihr zweites Brötchen verspeiste und Kristin genüsslich in den Apfel biss, wurde Sonja plötzlich hellhörig. Steingeröll. Scheppern. Abrutschgeräusche. Ihre Adleraugen wandten sich die Scharte hinab und sie erspähte einen einzelnen Wanderer, der uns wohl gefolgt war, dort unten aber weder vor noch zurück kam. Alarmierend rückte das Bergretter-Duo Sonja und Kristin aus, die sich den gefährlichen Weg wieder hinunter wagten, um den, in der Klemme sitzenden, Wanderer zu retten. Mit viel moralischer und mentaler Unterstützung gelang die Rettungsaktion und der Slowake wurde gesichert nach oben geführt. „Da waren’s plötzlich sechs. Na besser so als anders herum.“ Es stellte sich heraus, dass „Patrick“ ursprünglichen mit seinen Freunden unterwegs war, sich aber unten, aufgrund des besseren Bildmaterials, von seiner Truppe getrennt hatte und den Alternativweg unserer Scharte wählte. Fototourismus. Der neue unnatürliche Feind des Menschen. 


Gemeinsam stiegen wir mit Patrick den restlichen Weg bergab, der nicht weniger gefährlich und konzenrationswürdig war, bis sich unsere Wege an einer Kreuzung zu der jeweiligen anderen Hütte trennten. Da wir recht früh die Regensburger Hütte erreichten, entschieden wir erst mal ein Kaltgetränk einzunehmen und die Sonnenstrahlen genüsslich aufzunehmen, ehe wir den Duschvorgang vollziehen wollten. Ein grober Schnitzer von uns, der sich später rächen sollte. Trotz, dass wir diesmal gemeinsam in einem Fünfer-Zimmer untergebracht waren, gab es pro Etage nur eine Dusche. Die Duschzeit war zudem nicht vorgeschrieben, - eigentlich also - der Jackpot schlechthin. Wäre da nicht die 14-köpfige Wandertruppe vor uns gewesen, geschweige denn von dem französische Pharmazie-Quartett, mit denen wir uns gefühlte stundenlang im Flur in der Schlange unterhielten, bis wir endlich die subtropische Badvorrichtung erreichten, um endlich in den Duschgenuss zu gelangen. „Da hat uns doch jemand hinter die Fichte geführt.“ sprach Löön, die sich das dolomitische Tageblatt zu Gemüte geführt hatte und ihre neu gelernte Floskel zum Besten geben wollte. Bei Heidelbeerlikör und frisch Gezapftem beendeten wir mit einer Runde Wizard (das ist übrigens so ähnlich wie Metho-Skat) den Abend und begaben uns in eine erneute unruhige Nacht. 


„Kristin, wir sind die Tolpatschinen, aber du bist unser Häuptling.“ bemerkte Sonja, als sie Kristins abgebrochenen Zehnagel am kleinen Onkel betrachtete, der am Abend zuvor eine Begegnung mit der Duschwand hatte. Trotz Pflaster und Kenesio-Tape schienen die Schmerzen kein Weiterlaufen zu ermöglichen. Als letzte Konsequenz, vor Gondelabseilung, entfernte Kristin die Sohlen aus ihren Wanderschuhen und biss, wie einst Reinhold Messner, die Zähne zusammen, um die Reise weiter fortsetzen zu können. „Es ist 8:47 Uhr, auf geht‘s Kumpel“ eröffnete Mickey die dritte Etappe, die wir wieder einmal nicht pünktlich um 8 Uhr starten konnten. Bergidylle. Sonne. Wolkenlos. „Die letzten zwei Wochen war hier alles bedeckt. Regen, Nebel, Gewitter.“ Wir mussten mal wieder feststellen, dass wir einfach Glückspilze waren.


Nach weiteren Höhenmetern, Gepuste, Gekeuche und Atemlosigkeit, erreichten wir die Abenteuerpassage Klettersteig. „Kurz und knackig!“ sagte Kristin an. Und nun merkt euch einfach, dass kurz und knackig, ins Deutsche übersetzt, „Lang, diffizil und schwindelfrei“ bedeutet. Nach dieser adrenalinreichen Kletterpartie, warfen wir die 8-Kilo schweren Rucksäcke auf das Plateau, von dem man einen einzigartigen 360 Grad Panoramablick auf die Dolomiten hat und begaben uns in Richtung Gipfel Nummer 2: Duleda, 2.909 Meter. „Grenzerfahrungen. Das hier sind einfach nur Grenzerfahrungen.“ Lari hatte ihr persönliches Fazit schon lange gefasst. „Kranke Sachen, die ihr hier macht. Aber ich zieh das jetzt durch.“ Und wir zogen alle vor ihr unseren nicht vorhandenen Hut für diesen Löwenwillen. 


Nach einer Mittagspause, bei der wir unsere Mülltüte versehentlich am Plateau stehen gelassen hatten (Müllkarma ade), nutzten wir mal wieder unbewusst eine Alternativroute, die uns durchs Murmelieland führte. Die kleinen Wesen versüßten uns diesen Umweg, der uns mindestens 45 Minuten Verzug im Off-road Geröll bescherte. „Mag noch jemand Gitti?“ Lari führte, trotz der immensen Anstrengung, diverse Verkaufsgespräche und offerierte uns an jedem Pausenstopp diverse Produkte aus „Die Höhle der Löwen.“ Erfolgreich. Gedanklich packten wir bereits unseren Amazon-Warenkorb mit Handdesinfektion inkl. Bergamot-Aroma und Trinkflaschen im New-Hipster-Holzoptik Style. 


Nach einer weiteren schier unendlichen Auf-und Abtour, erreichten wir endlich die Puezhütte, die schon von Weitem mit italienischer Flagge winkte. Bettenlager 3-stöckig, 4-minütige Subtropen-Dusche und eine Steckdose für 20 Gäste. Willkommen im Hüttenleben. Bei so einer Anstrengung mussten wir uns nicht weiter überlegen, ob wir uns das 4-Gänge Menü am Abend gönnen sollten. „Was kostet die Welt!“ Und so wurde uns erst eine köstliche Bohnen-Gemüsesuppe, ein anschließender Bowl-Salat, sowie eine gegrillte Gemüseplatte mit gebackenem Käsesandwich und abschließend ein vorzüglicher Kaiserschmarren gereicht. Um den Abend, wie immer geschmackvoll und gebührend zu beenden, gönnten wir uns außerdem den selbstgebrannten Hüttenschnaps. Im Abgang Heu-ig. 


Vor 22 Uhr erklommen wir dann den vorletzten Gipfel unserer Wanderung. Unser 3-Stock Bett, das die Form einer Bienenwabe hatte. Sonja, die an oberster Stelle lokalisiert war, fiel erst oben auf, dass sich ihre Ohropax in 5 Meter Tiefe befanden. „Ach egal, das stehe ich heute Nacht auch so durch.“, sollte sich nach dem ersten gestarteten Sägewerk als Fehler bemerkbar machen. Tiefschlaf? - Wer braucht den schon?!


.. to be continued ..











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