Bella ciao!

"Die Normalität ist eine große gepflasterte Straße;
man kann gut darauf gehen - doch es wachsen keine Blumen auf ihr." - Vincent van Gogh

"Es ist 5:37 Uhr, guten Morgen Kumpel!"- Es war schier unglaublich. Trotz, dass wir immer die Ersten beim Aufstehen waren und mit als die Ersten am Frühstückstisch saßen, waren wir trotzdem jedes Mal die Letzten, die von der Hütte wegkamen. Auch am letzten Wandertag sollte sich das nicht ändern und ich fragte mich, ob dies an der, künstlich in die Länge gezogenen, Frühstückszeremonie, dem ständigen Suchprogramm von Sachen oder der Tatsache, dass wir einfach von Frauen waren, lag.
Wir hatten uns am Tag zuvor entschlossen unsere Wanderroute zu ändern und den dritten Gipfel am letzten Tag zu besteigen, damit wir nicht nur Abstiegspassagen hatten. Wir setzten noch mal alle verfügbaren Reserven der Lokomotive Mittelhessen in Gang und tuckerten die östliche Puezspitze, auf 2.913 Meter, hinauf. Der Gipfel war völlig verwaist und so konnten wir das ganze dolomitische Bergpanaroma genüsslich aufsaugen. Die Stille genießen. Natur pur spüren. Und das plötzlich verfügbare, mobile Datennetz zum Glühen bringen. Selbst Löön ließ sich zu einem Selfie auf der Gipfelspitze hinreißen. Ich glaubte meinen Augen kaum, dass sie ihr Endgerät überhaupt in greifbarer Nähe hatte und in in diesem Moment telefonisch erreichbar gewesen wäre!


Wir kehrten pünktlich zur Mittgaspause noch einmal in unserer lieb gewonnene Puezhütte ein und nahmen, neben einem kleinen Mittagssnack, noch einen letzten Absacker in Heuschnapsform ein. Dieser war auch bitter nötig, denn was anschließend als Abstieg folgte, forderte abermals Höchstkonzentration und Schwindelfreiheit. Die alles andere als Knie-schonende Passage, durch einen lang gezogenen, steilen Felsen, wurde abermals zu einer kleinen Herausforderung. "Leaving comfort zone" wurde Laris Lieblingsspruch und ich gab nur noch Anweisungen an die beiden Go-Pro Trägerinnen für ordentliches Bildmaterial zu sorgen, da ich selbst, mental nicht mehr dazu in der Lage war. 


Ohne Stürze und Verletzungen gelangten wir in gemäßigtere Gefilde und erreichten langsam, aber sicher die Baumgrenze. Ab da an zog sich der Rückweg wie Gummi. Kristin spürte ihren Zehen nicht mehr, Lari und Sonja klagten über Knieschmerzen und ich kämpfte gegen den enormen Sonneneinfluss an. Nur Löön schien noch wohlauf und allseits bereit. Aufgrund einer Wegsperrung, mussten wir auf den letzten Metern noch einen Asphalt lastigen Umweg einnehmen, erreichten schlussendlich jedoch unser Ziel, an dem unser Fahrzeug 4 Tage auf uns gewartet hatte. Kurvenreich gelangten wir gegen 18 Uhr nach Corvara, unserem Beherbergungsort für die nächsten Tage und verspeisten dort die köstlichste Pizza Italiens. Eccezionale!


Am nächsten Morgen trennten sich unsere Wege. Sonja und Lari hatten sich, in weiser Voraussicht, gegen den Moubtainbikekurs und die anschließende Tour entlang der Sellaronda entschieden. Anstattdessen wurde gewandert und Jimmy's Hütte aufgesucht, die einen Alleinunterhalter für die musikalische Untermalung zu bieten hatte, von dem die beiden Ladys noch Tage später schwärmten. Währenddessen erlernten Kristin, Löön und ich auf einem "Spielplatz" die Disziplinen "sicheres Bremsen auf Schotter", "Gleichgewicht halten" und "Staffelübergabe auf dem Rad". Tourguide "Alex" war das Beste, das uns passieren konnte. Er gab nicht nur hilfreiche Tipps und Anweisungen, die selbst Löön und Kristin neu waren, sondern blieb auch mit mir sehr geduldig, da ich nicht unbegründet als unsicherste Fahrerin galt. Wir waren noch nicht richtig losgefahren, da legte sich Kristin schon im weichen Schotterbett, verletzungsfrei, hin. "Gut, dass dir das hier unten passiert, morgen werden wir sehr viele dieser Passagen haben." Uff, das war schon mal eine Ansage und uns wurde klar, dass Sonja spätestens hier ausgestiegen wäre. Als wir zum Training den ersten Berg hinter Alex hinterher hechteten und die erste Testpassage erreichten, wussten wir warum Lari eine sehr weise Entscheidung getroffen hatte, als sie die Wanderung am Morgen gewählt hatte. Lediglich mir war nicht klar, warum ich nicht so schlau gehandelt und mich den beiden angeschlossen hatte, denn schon bei der ersten Hürde kapitulierte ich nach 3 Anläufen. "Du siehst Dinge, die nicht da sind", versuchte mir Alex zu erklären. "Aber da ist doch ein Fels und da hinter noch zwei Felssteine und Wurzeln und Schotter. Und ein Abhang." dachte ich mir. "Lass den Kopf die Linie zeichnen, entscheide dich für einen Weg und ändere ihn dann keinesfalls mehr um". Ok, das klang für mich sehr plausibel, aber was, wenn der Weg mir schrieb "Warum willst du das überhaupt fahren?!?"


Die Testphase lief ansonsten gut und nur der Rückweg ging Kristin und mir an die Substanz, kamen wir dem Tempo von Alex und Löön nicht annähernd bei. Zur Erholung und Entspannung ließen wir uns nachmittags an einem Biotop nieder. Herrliches Wasser. Blick auf die Dolomiten. Sonne. Der Tag endete für mich allerdings in einer Apotheke, hatte ich mich in dem nadelichen Gefilde wohl einem allergischen Schock ausgesetzt, der mein linkes Auge in einen kompletten Systemausfall versetzte. Kein Affengriff und auch kein Reset möglich. Augentropfen. Ruhe. Schlaf. 


Das linke Auge erwachte wieder zum Leben und somit fand ich mich am folgenden Tag in Fahrradmontur, Ellenbogen- und Schienbeinschonern, sowie einem neu erworbenen Helm, mit Kristin, Löön und Alex vor der ersten Gondel wieder. Die Achterbahnfahrt an der Sellaronda sollte beginnen. Es gab kein Zurück mehr. Schottergeröll. Steile Abfahrten. Wurzeln. Steine. Felsen. Kurven. Enge Passagen. Sessellift. Und das Ganze wieder von vorne. Lööns Augen strahlten und das Grinsen war nicht mehr aus ihrem Gesicht zu bekommen. Willkommen im Biker-Paradies. Ein bisschen Höhenmeter, ein bisschen schwitzen und dann wieder bergab. Downhill. Volle Konzentration. Auf den Weg. Auf das Fahrrad. Und auf die passierenden Wanderer. Unsere Fingerspitzen wurden wund vom Bremsen. Den rechten Zeigefinger spürte ich kaum noch. Immer in Affenhaltung auf dem Bike, Arme so weit wie es geht nach Außen und niemals die Contenance verlieren. Alex führte uns hervorragend, wies auf Schlüsselstellen hin und fuhr mit mir zwei Skiabfahrten separat, während die anderen beiden den schwarzen Waldtrail nahmen. Wir wurden sicherer. Ich fuhr "Wege" auf denen ich niemals gefahren wäre. Wurzelstufen, Steinvorsprünge, steile Abhänge. Der augewirbelte Staub flog uns um die Ohren, wir wurden schneller, schmetternden die Abfahrten hinunter.

"So, Juli, jetzt filme ich aber dich mal." Kristin wollte mir gut, hatte sie bisher nur Solo-Filmmaterial von Löön gesammelt. Ich legte mich ins Zeug und fuhr als mittlerweile „Schottermasterin“ über die Piste. Dann kam ein höherer Felssprung und ich unter die Räder. Ich schlug mit dem rechten Knie auf, das Fahrrad flog auf mich. Schmerz. Adrenalin. "Alles ist gut." Nach der Flugeinlage machten wir erst einmal Mittagspause. Ich warf mir eine Ibu ein, säuberte die Wundstellen und dann ging es weiter. Es gibt immer nur zwei Optionen: Aufgeben oder Staub abwischen und weitermachen.


Ich weiß nicht mehr wie viele Gondeln und Lifte wir hochgefahren und dann wieder runtergebrettert sind. Wir waren so hoch und dann in Windeseile wieder unten. Das hatte rein gar nichts mit dem Image-Video auf Youtube zu tun, welches mir noch vor 2 Monaten als Trailer für diese Tour präsentiert wurde (ansonsten hätte ich nämlich nicht gebucht ;-)). Die Achterbahnfahrt nahm kein Ende. Ich konnte nicht mehr, ein ganzer Tag war mir zu viel. Zum Glück hatte uns Alex mit dem vorletzten "Family Trail" noch ein Filetstück serviert. "Ein Trail für die Seele!", bedankte ich mich bei ihm, nachdem wir das 4-Kilometer lange Stück, mit vielen Kurven ohne Wurzeln und Steinen beendet hatten. Die letzte Abfahrt verlangte noch einmal alle Reservekräfte und Konzentrationsbatterien ab und Kristin legte sich an einer Stelle noch mal in die einzige Pfütze Südtirols, aber ansonsten blieben wir unbeschadet. Für alle Mountainbike-Fans ist dieses Adrenalin- und Achterbahnerlebnis nur zu empfehlen. - Am besten mit Guide und am besten mit Alex ;-)!

Ein letztes Mal kehrten wir in unsere Lieblings-Pizzeria "Fornella" ein, in der wir es uns mit hauchdünner Pizza, beträufelt mit Chili-Olivenöl, einem Zitronen-Sorbe und Abschlussschnaps noch einmal gut gehen ließen. Am nächsten Morgen verließen wir Corvara, vollgepackt und zwei große Heusäcken im geräumigen Kofferraum, die Sonja einem Bauern noch für ihre Hasen abschwatzte. Der Rückweg gestaltete sich nicht weniger kurz und wir benötigten abermals 12 Stunde Fahrzeit um nach Hause zu gelangen. Mein Knie pochte und schwoll an und freute sich schon auf den nächsten Tag, an dem ein Freundschaftsspiel zu bestreiten war. Doch Dank Ibu und einer wunderbaren Gesellschaft lässt sich vieles aushalten und bestreiten. Ein Hoch auf so eine bereichernde Konstellation an Menschen. 

Und was eine Tour! Aktiv+ und trotzdem erholt. Die Berge und besonders die Dolomiten, sind unvergleichlich. Balsam für die Seele. Eine kleine Tankstelle des Glücks bei all dem Chaos auf dieser Welt. Mille Grazie Dolomitis! :)

Erkämpfte Meter:

61,65 Bike-Kilometer
50,48 Wander-Kilometer
3.700 Höhen-Wander-Kilometer

 Top 3: unnütze Mitnahmen:
 1. "Green Pass"
 2. lange Jeans
 3. Corona Schnelltest

Top 3: wichtigste Mitnahmen:
 1. "Gitti" - Handdesinfektion mit Bergamot-Aroma
 2. Trinkflaschensystem
 3. Ibuprofen

"Gli occhi sono lo specchio dell'anima" - Die Augen sind der Spiegel der Seele.













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