Eigentlich wie immer

Eigentlich war alles wie immer.


„Wo ist meine Uhr?“ irrte ich suchend durch die Ferienwohnung, während Löön gemütlich und schmatzend ihr drittes Brötchen vertilgte und keinerlei Anstalten machte den Frühstückstisch zu verlassen. „Ich muss mir noch mal die Haare kämmen.“ musterte sich becks zum x-ten Mal im Spiegel, während Resi die Wanderkarte erneut inhalierte und sich neben jeder Abzweigung, Bergzipfel und Bachverlauf auch noch Flora, Fauna  sowie Moosbeschaffenheit der Ellmauer Bergwelt akribisch einprägte. Das Zepter der Reiseleitung war becks, trotz vorbildlicher Recherchearbeit und eigens angelegter Ordnerstruktur, schon lange aus der Hand gerissen worden. Unterdessen machte sich Magdi auf das Schlimmste gefasst und betrachtete argwöhnisch die kletterbasierten Routen. „Leute, bitte denkt an meine Knie, ich bin Bergneueinsteigerin.“ „Ach Magdi, das wird doch gar nicht so schlimm. Wir machen nur eine kurze, knackige Tour zur Gruttenhütte und zurück. Nicht der Rede wert.“ Misstrauisch beäugte Magdi das vor ihr liegende Pamphlet. „Und was ist mit dem Klettersteig?“ Den machen nur Resi und ich.“ beruhigte becks in ihrer gewohnt, sprachlich geschickt verpackenden Art. „Schau, das Klettersteigset packen nur wir ein.“ 


Auch ich hatte am Abend zuvor den Klettersteig, mit C und D Passagen, aus meinem Repertoire entfernt, setzte bei mir der Schwindel bereits bei Begutachtung des  freihängenden Seil über 10 Meter ein. Selbst Löön musste die Segel streichen, hatte sie, dank anderer Umstände und strikter Anweisung von Mr. Ströhmann, keinerlei Befugnis sich irgendwelcher abgründiger Gefahren auszusetzen.  


„Es ist ja erst 9:15 Uhr.“ Überpünktlich starteten wir mit Goethe Richtung Wanderparkplatz und marschierten los. „Wie stand in dem Reiseführer? ‚Für eine Rast ist es hier noch zu früh.‘“ zitierte becks, als wir die Gaudeamshütte bereits nach 20 Minuten in Augenschein nahmen. „Ich müsste aber schon mal aufs Klo.“ grätschte Löön dazwischen. „Ach, dann könnte ich mein Top auch gerade mal entfernen bei dieser Affenhitze.“ bemerkte becks, während sich Magdi sichtlich über den ersten Pausenstopp erfreute und ich die Gelegenheit für einige Bildaufnahmen nutzte. Unterdessen hatte sich Resi in verschiedenliche Fachsimpeleien mit anderen Wanderern verwickeln lassen, konnte sie jetzt mit ihrem Wissen2go glänzen und wertvolle Tipps für die angehenden Routen verteilen. Dies hielt sie jedoch nicht davon ab, eine erste Rüge auszusprechen, als becks und ich uns noch zu einem Bergselfie hinreißen ließen. „Weiter geht’s Leute!“ Und so arbeiteten wir uns bis zu der Abzweigung weiter, wo sich die Spreu vom Weizen trennen sollte. Magdi, Löön und ich wählten den benutzerfreundlichen Weg und kümmerten uns um Bild- und Filmmaterial sowie den mental-Support, während sich Resi und becks an seilenbasierten Felssystemen entlang hangelten und in schwindelerregenden Höhen ein- und aushakten. 


„Ich bräuchte auch mal so einen Dämpfer, der mich mal wieder auf den Boden der Tatsachen zurück bringt.“ merkte becks noch am Vorabend bei der Planung des Klettersteigs an. Ihr Wunsch wurde Befehl, als das 10 Meter frei hängende Seil über der Schlucht erreicht wurde. „Schmitti, ich hab beide Kletterhaken drin. Du weißt was das bedeutet.“ Unbehaglich und mit dem endlich nötigen Respekt manövrierten sich becks und Resi mutig über den Abgrund, um anschließend an einer immer höher und steiler werdenden Wand mit Überhang die finale Passage zu erreichen. „Puh Leute, das war jetzt auch mal ne Hausnummer für mich.“ präsentierte becks ihre offenen Fingerwunden, die beim Festgrallen in das Stahlsein entstanden sein mussten. 


Angekommen auf der Gruttenhütte gönnten wir uns ein Erfrischungsgetränk und ich begann vorsichtig an zu feilschen. „Leute, ich bin noch so unausgelastet. Besteht noch noch die Möglichkeit auf eine Etappenerweiterung?“ Auch Löön war sehr angetan von dem Bonusmaterial und becks erklomm schon gedanklich den Bergwipfel. Selbst Reiseleitung Schmitt konnte sich mit einer Änderung der geplanten Route sehr anfreunden und bewarb den Jubiläumsweg (Anm. d. R.: an der Stelle wurde geschnitten) mit freudigen Augen. Lediglich Magdi war von der Sache noch nicht sehr angetan, plagte sie bereits ihr lädiertes Knie. Außerdem gab sie zu Bedenken, dass sie noch nie einen Klettersteig (Schnitt: es war ja nur ein Weg) gemacht hatte. „Es sind nur A-Passagen verzeichnet.“ „Du kannst auch eines unserer Klettersteigsets haben.“ „Das ist nur ne kleine Waschbärroute.“ Am Ende hatten wir alle so sehr auf Magdi eingeredet, dass sie gar nicht anders konnte und sich mit uns auf den Jubiläumsteig (*hust* Weg) begeben musste. „Du wirst es nicht bereuen. Am Ende des Tages wirst du sehr glücklich sein, diesen Weg gemacht zu haben.“ 


Anm. d. R.: aus unerfindlichen Gründen ist uns der nachfolgende Abschnitt abhanden gekommen. Auch bei dem Fotomaterial müssen wir auf Archivaufnahmen zurück greifen.


An der nächsten Kreuzung wurde erneut eine Selektion vorgenommen. Team „Wir-haben-nicht-genug-und-möchten-noch-hoch-zum-Gipfel“ erbettelte sich bei Reiseleitung Schmitt weiteres Bonusmaterial und setzte den Weg Richtung Ellmauer Wand fort, während Löön, Magdi und Resi die malerische und benutzerfreundliche Route Richtung Hütte fortsetzten. „Ihr habt zweieinhalb Stunden, dann seid ihr wieder unten.“ schallten noch die mahnenden Worte hinter uns her, als wir im Endspurt den Berg hinauf pezten. „Challenge accepted! - Das schaffen wir doch auch in kürzer.“ In 45 anstatt 60 Minuten erreichten becks und ich das Ellmauer Tor und blickten auf beeindruckendes Bergidyll und ließen uns zu mehreren Imagefotos hinreißen. „Mist, unser 15 Minuten-Vorsprung ist wieder aufgebraucht. Ab nach unten.“ Wir wählten die Abkürzung und rutschten das Schneefeld einfach im Sitzen herunter. becks holte nun zu ihrer Paradedisziplin aus und sprintete wie ein Trailrunner den Geröllweg hinab. Da ich kaum hinterher kam und meine Stöcke offensichtlich eh falsch anwand, wurden diese zugleich von Frau Dittmar einkassiert und ich im Schnell-Drive-In-Modus in den Trailrun eingewiesen.


Wir fanden uns am Ende beinahe zeitgleich mit den anderen an der Hütte wieder ein und bestritten gemeinsam den Weg zurück zum guten alten Goethe. „Ich hab Knieschmerzen.“ „Meine Finger brennen.“ „Mein Steißbein tut höllisch weh.“ „Ich glaub ich hab Sonnenbrand.“ „Wollen wir eigentlich noch was essen?“ 


Eigentlich war alles wie immer. 










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